Die Instrumentalisierung der Drogen
Inwiefern die Legalität von Drogen wirtschaftspolitisch entschieden wird und wie weit sie mit Profit und Konsumpräferenzen verbunden ist, zeigen verschiedene Beispiele im Verlauf der letzten 200 Jahre.
Schon im 19. Jahrhundert wurde der Handel mit dem stark abhängig machenden Opium instrumentalisiert, um die Wirtschaft Englands zu stärken. Hatte sich das Opiumrauchen zwar schon zuvor durch chinesische Seeleute und Händler ausgebreitet, blieb es dennoch im 18. Jahrhundert noch einer Elite, wie Musikern und Literaten oder auch Eunuchen am Kaiserhof, vorbehalten. Während der Westen zahlreiche Produkte wie Tee, Seide und Porzellan als Luxusgüter mit Silber einkaufte, brauchte und wollte China im Gegenzug kaum etwas. Als Lösung bot sich für die Briten Opium an, das sie im kolonialisierten Indien anbauen und dann mit der East India Company nach China transportieren konnten. Wohlwissend, dass Einfuhr und Konsum dort bereits verboten - wenn auch in der Praxis noch nicht strikt verfolgt - waren, entwickelte sich ein reger Handel in Zusammenarbeit mit einheimischen Händlern.
Verschiedene Umstände wie Überbevölkerung und Naturkatastrophen, aber auch von Feldzügen geleerte Staatskassen, führten in China zu steigender Armut und damit verbundener Korruption. Die trostlosen Aussichten wiederum brachten viele ans Opium, sodass Konsum und Verkauf enorm anstiegen; von ein paar hundert Kisten pro Jahr auf mehr als 80.000. Zum Höhepunkt waren 10% der chinesischen Bevölkerung regelmäßige Konsumenten, die Wirtschaft brach zusammen und die Inflation heizte die bestehenden Probleme weiter an, sodass ein Teufelskreis entstand. 1839 hatte das Kaiserreich versucht, durch strengere Gesetze und Vollstreckungen den Handel zu unterbinden und dies auch von den ausländischen Händlern verlangt. Gipfel der Auseinandersetzung waren die zwei sogenannten Opiumkriege; ungleich geführte Kriege, die in ebenso "Ungleiche Verträge" mündeten. Nachdem die Briten sich als Verteidiger des Freihandels erklärten und den Einsatz der Royal Navy forderten, musste China seine Häfen und Märkte öffnen, Hongkong abtreten und legalisiert schlussendlich 1860 sogar die Droge, um eventuell selbst auf dem Markt bestehen zu können. Für China bleibt das Ganze bis heute ein Symbol der Demütigung und Beginn des Absturzes des Kaiserreiches 1911.
Bis zum Beginn des 20. Jh. duften vielerlei Produkte noch mit Stoffen wie Morphium, aber auch Kokain und Heroin versetzt werden. Durch die beiden Weltkriege setzte dann auch eine Phase der militärischen Versuche ein. Auch wenn der Rausch in der Geschichte der Menschheit eng mit Ritualen, Religion und Tradition verbunden ist, er ist es auch mit dem Krieg. Ebenso wie Politik und Herrscher ihn gefürchtet haben, so haben sie ihn auch genutzt für Manipulation und Mobilisierung. So suchten US-Army und CIA beispielsweise wirkungsvolle Hilfsmittel für Verhöre, sowie Möglichkeiten, ihre Gegner kampfunfähig zu machen, ohne sie zu töten. Dazu waren sie sogar bereit Experimente an Soldaten und Studenten vorzunehmen, später sogar Nazi-Wissenschaftler zu Rate zu ziehen. Die Soldaten wurden mit verschiedenen Boni, wie mehr Sold oder auch einer späteren Abreise an die Front nach Vietnam, angeworben, zum Teil ohne wirklich zu wissen, worauf sie sich damit einließen. Insgesamt waren etwa 100.000 Soldaten betroffen, an denen Versuche mit beispielsweise LSD, Amphetaminen und Barbituraten, aber auch Senfgas und Nervengiften vorgenommen wurden.
In Nazi-Deutschland spielte das Methamphetamin-haltige Pervitin eine große Rolle, welches den Menschen insgesamt - Soldaten ebenso wie Zivilisten - leistungsfähiger machen sollte. Ob als rezeptfreie Pillen oder Pralinen "Hildebrand" für die figurbewusste Hausfrau, die einen Muntermacher braucht - die Menschen ebenso wie die Generäle waren begeistert von der Wirkung, bis sich schließlich die Nebenwirkungen des dauerhaften Konsums verdeutlichten und das Mittel ab 1941 eines Rezeptes bedurfte. Natürlich diente Pervitin auch verschiedenen Experimenten mit Häftlingen und Sportlern.
In den USA hatte es unterdessen schon länger in christlichen Frauengruppen die Forderung nach Abstinenz gegeben, zum Schutz des häuslichen Lebens. Ein Aufruf, der allerdings erst durch den Einfluss rassistischer Tendenzen Gehör fand. So richtete sich die Abneigung in Wahrheit oftmals gegen Versammlungen verschiedenster Einwanderergruppen und Minderheiten. Im Süden wünschte man sich gezielt die Schließung schwarzer Saloons. Erreicht wurde damit jedoch lediglich, dass Bürger über Nacht zu Kriminellen wurden und Alkohol innerhalb kürzester Zeit zur drittstärksten Wirtschaft des Landes wurde.
Nachdem die Prohibition 1933 als fehlgeschlagen beendet wurde, kehrte diese sich in den folgenden Jahrzehnten leider zu einem "War on Drugs" um, von dessen Einflüssen die Welt es erst jetzt langsam schafft, sich wieder zu befreien. Waren zunächst die vielen Süchtigen unter den Vietnam-Soldaten, einer der Gründe für die Verschärfungen, konnte inzwischen aufgezeigt werden, dass die amerikanische Drogenpolitik eng verknüpft ist mit Debatten um Minderheiten, Armut und Gewalt. So wurden unter Nixon beispielsweise gezielt Hippies mit Marihuana und Schwarze mit Heroin assoziiert, um beide Gruppen indirekt kriminalisieren zu können. Bis heute werden die Strafgesetze viel häufiger bei Armen, Schwarzen und Minderheiten eingesetzt, dabei verschärfen sich Leid und Gewalt weiterhin und die Drogenindustrie streicht hunderte Milliarden Gewinn ein.
Doch auch legale Medikamente sind Drogen und versprechen den Menschen in Zeiten von zunehmender Komplexität und Verantwortung des Einzelnen, sowie der daraus resultierenden Überforderung, sowohl das Funktionieren in, als auch das Ausbrechen aus diesen Bahnen. So sind in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen süchtig nach Schmerzmitteln und auch die Verschreibung von Antidepressiva ist im Verlauf von 10 Jahren um ein Drittel gestiegen. Obwohl die Lage noch nicht so schlimm ist, wie in den USA, wo schon seit Jahren eine hohe Opioid-Abhängigkeit mit steigenden Opferzahlen durch Überdosierungen zu beklagen sind, ist auch in Deutschland die manchmal zu leichtfertige Verschreibung, ohne nötige Aufklärung und situationsbedingter Begleittherapie, oftmals ein Problem. Gerade beim Einsatz von Schmerztabletten und Antidepressiva, aber auch in Bezug auf Mittel wie Ritalin, welches gerne von Studenten als "Booster" während der Prüfungszeit genutzt wird.