ALS & MS - Was kann Cannabis bewirken?
Im Mai ist sowohl "ALS Awareness Month", als auch der Welt-MS-Tag. Doch was genau wissen wir zur Zeit über die Wirkungsweise von Cannabis auf diese Erkrankungen des Nervensystems?
Sowohl die Amyothrophe Lateralsklerose als auch die Multiple Sklerose sind Erkrankungen, bei denen die Nerven geschädigt werden und es in der Folge zu körperlichen und teilweise auch geistigen Einschränkungen kommt. Wird bei letzterer durch eine abnormale Reaktion des Immunsystems das zentrale Nervensystem angegriffen, wodurch es zu Entzündungen und Schädigungen an den Myelinscheiden kommt, welche die Neuronen in Gehirn und Rückenmark umgeben, werden bei der ALS sowohl das zentrale, als auch das periphere Nervensystem angegriffen, und dadurch die Motoneuronen, welche für die Steuerung der Muskeln zuständig sind, geschädigt.
In Deutschland gibt es aktuell etwa 8 000 bis 9 000 ALS-Patienten, mit jährlich etwa 2 500 neuen Diagnosen; bei der MS sind es weltweit mehr als 2 Millionen Betroffene. Bei Ersterer kommt es aufgrund der Schädigungen der Nerven zu Muskelzuckungen, -schwäche und -schwund in Armen und Beinen sowie bei Schluck-, Sprach- und Kaumuskulatur. Auch wenn die fortschreitende Lähmung sehr unterschiedlich verlaufen kann, ist die Krankheit im Verlauf dennoch stets tödlich, da schlussendlich auch die Atemmuskulatur betroffen ist. Geistige Störungen sind selten, kommen aber in wenigen Fällen vor. Meist zeigt die Erkrankung sich bei Menschen zwischen 50 und 80 Jahren, es gibt aber auch jüngere Betroffene. Berühmtestes Beispiel ist wohl der Wissenschaftler Stephen Hawking, der bereits mit 21 Jahren erkrankte.
Da es bisher keine Heilung für die Erkrankung gibt, ist die Behandlung auf deren Ausbremsen sowie die Linderung der Symptome ausgerichtet. Physio- und Ergotherapie werden angewendet, um das Fortschreiten zu bremsen; Psychische Betreuung wird eingeholt, um die Belastung der Erkrankung und deren Konsequenzen zu bewältigen. Zunehmend greifen die Patienten auch auf Cannabis zurück, da es die Symptome lindern kann und sie auf eine Verzögerung des Fortschreitens hoffen. Studien, die zumeist die weitere Erforschung wünschen, gibt es genügend, allerdings werden deren Datenlagen oftmals als ungenügend eingestuft.
Als aussagekräftig sind sie dennoch zu bewerten, liefern sie beispielsweise Erkenntnisse darüber, dass die antioxidativen, entzündungshemmenden und neuroprotektiven Eigenschaften der Cannabinoide durchaus das Überleben der Nervenzellen fördern und den Krankheitsverlauf bremsen könnten. Auch die mögliche Linderung bei Symptomen wie Schmerzen, Spastik und Depression ist bekannt. Bereits 2001 und 2010 erschienen zu diesen Themen Artikel im American Journal of Hospice and Palliative Medicine.
Eine italienische Studie der Uni Mailand zeigte unter Einhaltung hoher Standards - doppelt blind und placebokontrolliert - mit 60 teilnehmenden Patienten, eine eindeutige Verbesserung unter Verwendung von Nabiximols, welches sowohl THC als auch CBD enthält, während die Placebo-Gruppe eine ebenso deutliche Verschlechterung verspürte. Das Medikament wurde dabei gut vertragen und es kam zu keinerlei Nebenwirkungen.
Bei der MS, die als Krankheit mit tausend Gesichtern gilt, kann es durch die autoimmun bedingte Schädigung der Nerven u.a. zum Verlust der motorischen Fähigkeiten, zu Muskelkrämpfen und -schwäche sowie zu Lähmungen und Depressionen kommen. Schmerzen können in direkter Folge auf die Entzündungen der Nerven entstehen, ebenso wie in Folge von Krämpfen und Spastik oder als Nebenwirkung der Medikamente. Eine Störung der Sehkraft - in Form einer Sehnerventzündung - ist bei rund einem Drittel das Erstsymptom. Sehr häufig und für viele täglich tritt auch die Fatigue auf, eine Schwäche und Abgeschlagenheit, die sich deutlich von normaler Müdigkeit unterscheidet, die Lebensqualität reduziert, manchmal sogar die Erwerbstätigkeit einschränkt und oftmals zum Rückzug aus dem sozialen Umfeld führt.
Auch im Zusammenhang mit MS konnten durch die Forschung bereits die neuroprotektiven Eigenschaften von THC aufgewiesen werden. Studien und Patientenbefragungen weisen auf die Effektivität von cannabisbasierten Medikamenten bei der Linderung von Schmerzen sowie bei Schlafstörungen hin. Die Immunantwort des Nervensystems wird gemindert und somit auch die Entzündungen sowie die daraus resultierenden Schmerzen. 2011 gelang es Forschern außerdem zu zeigen, dass Cannabis die Wahrnehmung von Schmerzen verändert. Das lymbische System - zuständig für die Steuerung von Emotionen - leitet unter Einwirkung von THC weniger Signale weiter, wodurch der Schmerz als weniger bedrohlich empfunden wird.
In Bezug auf Muskelkrämpfe und Spasmen zeigte bereits 2005 eine auf höchstem Niveau durchgeführte Studie, dass Cannabis diese in Häufigkeit sowie Schwere reduzieren und die Mobilität verbessern kann. Etwa die Hälfte aller Patienten leidet zudem an Depressionen, verursacht entweder durch die Schädigungen der Nerven oder aber als Nebenwirkung der Medikation auftretend. Auch hierbei kann Cannabis helfen, allerdings gibt es ebenso Berichte über die Verstärkung von Psychosen durch den Cannabisgebrauch. Eine mögliche genetische Basis für diesen Unterschied in der Wirkungsweise wird untersucht. Auch bei Bauchbeschwerden kommen die Wirkstoffe erfolgreich zum Einsatz, da laut Patientenbefragungen Symptome wie Magen-Darm-Beschwerden und Inkontinenz verbessert werden können. So kommt Cannabis beispielsweise auch bei den Behandlungen von Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom oder Morbus Crohn zum Einsatz.
Da MS ebenfalls als nicht heilbar gilt, zielt die Behandlung - häufig in Form einer nicht immer unproblematischen Interferontherapie - auch hier auf das Ausbremsen und die Symptomlinderung ab. Zu den verwendeten Cannabisarzneimitteln zählen das Nabiximols enthaltende Fertigarzneimittel Sativex, Canemes mit dem Wirkstoff Nabilon, sowie Dronabinol und Extrakte. Zudem ist ein starker Anstieg bei der Verschreibung von Blüten zu beobachten. Waren es Anfang 2017 noch 564 Rezepte, waren es ein Jahr später bereits 26 329.