Wie Cannabis-Therapien bei neurologischen Erkrankungen helfen können
Neurologische Erkrankungen stellen die Betroffenen seit jeher vor große Probleme: Multiple Sklerose, Epilepsie, Morbus Parkinson oder neuropathische Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität ganz erheblich.
In den letzten Jahren hat sich Cannabis als ernstzunehmende therapeutische Option etabliert, um die Symptome zu lindern.
Das körpereigene Endocannabinoid-System
Für das Verständnis der Wirkung von Cannabis lohnt ein Blick auf das Endocannabinoid-System. Dieses körpereigene Regulationssystem beeinflusst die Verarbeitung von Schmerzen, die Muskelspannung, Entzündungsreaktionen und die neuronale Erregbarkeit.
Cannabinoide aus der Cannabispflanze greifen in dieses System ein. THC bindet sich vor allem an CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem und kann Schmerzen lindern oder Muskelkrämpfe reduzieren. CBD wirkt indirekt. Es moduliert neuronale Signalwege und zeigt entzündungshemmende sowie krampflösende Eigenschaften.
Gerade bei neurologischen Erkrankungen spielt diese Vielseitigkeit eine Rolle. Viele Symptome entstehen nicht isoliert, sondern verstärken sich gegenseitig. Schmerzen verschlechtern den Schlaf, Schlafmangel erhöht die Reizbarkeit des Nervensystems und das verstärkt wiederum Schmerzen.
Multiple Sklerose: Linderung von Spastiken und Muskelsteifigkeit
Ein klassisches Einsatzgebiet medizinischer Cannabinoide liegt in der Behandlung von Spastik bei Multipler Sklerose. Viele Patienten leiden unter schmerzhaften Muskelverkrampfungen, die sich mit herkömmlichen Medikamenten nur unzureichend kontrollieren lassen. Hier zeigt die Studienlage eine klare Tendenz zugunsten cannabinoidhaltiger Präparate.
Eine schon 2007 in der Fachzeitschrift European Journal of Neurology erschienene und später viel zitierte Studie untersuchte den Einsatz eines Mundsprays mit THC und CBD bei MS-Patienten mit therapieresistenter Spastik. Die Autoren beobachteten eine signifikante Verbesserung der Muskelsteifigkeit sowie eine Reduktion schmerzhafter Krämpfe im Vergleich zu einem Placebo. Auch die Qualität des Schlafs und das subjektive Wohlbefinden nahmen zu. Diese Studie gilt als Meilenstein, weil sie erstmals in einem größeren, kontrollierten Setting den klinischen Nutzen belegte.
Epilepsie und die Rolle von CBD
Noch deutlicher zeigt sich der Nutzen von Cannabis bei bestimmten Formen der Epilepsie. Vor allem bei seltenen, schwer behandelbaren Syndromen wie dem Dravet Syndrom oder dem Lennox Gastaut Syndrom stößt die konventionelle Therapie oft an Grenzen. Hier kann Cannabidiol hilfreich sein.
Eine 2017 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie untersuchte die Wirkung von reinem CBD bei Kindern und Jugendlichen mit Dravet Syndrom. Die Forscher stellten eine signifikante Reduktion der Anfallshäufigkeit fest. Bei einigen Patienten halbierte sich die Zahl der Krampfanfälle, einzelne erreichten sogar eine weitgehende Freiheit von Anfällen. Nebenwirkungen traten auf, blieben jedoch meist moderat und gut kontrollierbar.
Diese Ergebnisse führten dazu, dass CBD Präparate heute in vielen Ländern als zugelassene Arzneimittel bei bestimmten Epilepsieformen gelten.
Chronische Schmerzen und neuropathische Beschwerden
Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigungen oder Fehlfunktionen des Nervensystems. Patienten beschreiben sie als brennend, stechend oder elektrisierend. Klassische Schmerzmittel zeigen hier oft kaum Wirkung. Cannabinoide können die Schmerzverarbeitung im Rückenmark und im Gehirn modulieren und damit genau dort ansetzen, wo das Problem entsteht.
Mehrere klinische Untersuchungen belegen, dass THC-haltige Präparate die Schmerzintensität senken und gleichzeitig den Schlaf verbessern. Für viele Betroffene bedeutet das einen großen Gewinn an Lebensqualität. Die Möglichkeit, nachts durchzuschlafen, wirkt sich tagsüber positiv auf die Konzentration, die Stimmung und die Belastbarkeit aus.
Parkinson, Tremor und Bewegungsstörungen
Auch bei Morbus Parkinson kann Cannabis Symptome lindern. Diese Patienten leiden unter Tremor, Rigor und nicht motorischen Symptomen wie Schlafstörungen oder Angst. Erste kleinere Studien und Beobachtungen aus der Praxis deuten darauf hin, dass Cannabinoide vor allem Begleitsymptome lindern können. Schlechter Schlaf und innere Unruhe verbessern sich häufig, während Schmerzen und Muskelsteifigkeit abnehmen.
Telemedizin: Erleichterter Zugang zur Cannabis-Therapie
Mit der zunehmenden Anerkennung von Cannabis als Medizin verändert sich auch der Zugang zur Behandlung. In Deutschland ermöglichen telemedizinische Plattformen heute eine ärztliche Beratung über das Internet. Nach einer Anamnese über einen medizinischen Fragebogen können qualifizierte Ärzte prüfen, ob eine Cannabis-Therapie sinnvoll erscheint. In diesem Kontext kann man unter bestimmten Voraussetzungen ein Cannabis-Rezept online erhalten, ohne lange Wege oder Wartezeiten auf sich nehmen zu müssen.
Gerade für Menschen mit neurologischen Erkrankungen ist das eine erhebliche Erleichterung. Digitale Angebote senken Hürden, ersetzen aber nicht die ärztliche Verantwortung. Jede seriöse Plattform orientiert sich an medizinischen Leitlinien.
Chancen und Grenzen realistisch betrachten
So vielversprechend Cannabis-Therapien erscheinen, sie eignen sich nicht für jeden Patienten und jede Erkrankung. Die Dosierung, die Zusammensetzung der Wirkstoffe und die Art der Applikation müssen individuell angepasst werden, denn THC kann Schwindel oder Müdigkeit verursachen und CBD beeinflusst manchmal die Leberwerte oder verursacht Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
Eine verantwortungsvolle Therapie setzt daher eine fundierte ärztliche Begleitung voraus.
Fazit: Cannabis als wertvolle Säule der modernen Neurologie
Cannabis-Therapien haben sich in der Neurologie von einer Randerscheinung zu einer ernstzunehmenden Option entwickelt. Besonders bei Multipler Sklerose, bestimmten Epilepsieformen und neuropathischen Schmerzen belegen Studien einen klaren Nutzen.
Der medizinische Einsatz von Cannabis folgt heute klaren Regeln und orientiert sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Für viele Betroffene eröffnet sich damit eine zusätzliche Chance, Symptome zu lindern und etwas Lebensqualität zurückzugewinnen.