Patientenjagd wegen Kleinstmengen Interview

Soft Secrets
10 Oct 2019

Große Hoffnungen lagen und liegen im Cannabis-Medizin-Gesetz, welches im März 2017 in Kraft getreten ist. Bislang ist es für viele eine Enttäuschung, auch aus juristischer Sicht. Somit entscheiden Polizei und Justiz nach Gutdünken, ob anerkannte Cannabis-Patienten nun ihre Ruhe haben oder weiterhin schikaniert werden.


Stephan Stemmann hatte Anfang 2018 Extrakte aus verschimmeltem Apotheken-Cannabis gewonnen. Nun wird ihm dies als Verarbeitung ausgelegt. Dazu sei er nicht berechtigt. Weiterhin wurden etwas CBD-Hasch und 2016 eine kleine Menge „Speisehanf“ gefunden, die mit einem Bußgeld abgegolten waren, was nun aber neu diskutiert wird. In Berlin mag es solche Vorkommnisse nicht geben, doch in anderen Regionen Deutschlands handelt es sich nicht um Einzelfälle. So, wie es diesen Cannabis-Patienten ergeht, ergeht es in diesen Regionen umso mehr Genuss-Konsumenten. Wir haben mit Stephan Stemmann über seine Situation gesprochen.

Hattest du bereits vor der Gesetzesänderung eine Ausnahmegenehmigung?

Stephan: Vor der Gesetzesänderung hatte ich keine Ausnahmegenehmigung, aber war schon auf dem Weg. Es hat mehr als fünf Jahre gedauert, viele schlaflose Nächte und nervlich zerstörte Tage gebraucht, bis ich eine Praxis gefunden habe, die dem Thema offen gegenüber war. Gerade als der Antrag fertig eingereicht werden sollte, kam die Gesetzesänderung. Es hieß noch drei Monate warten und bangen, bis der Antrag an die Kasse gestellt werden konnte.

Diese weigerte sich, die Kosten der Behandlung zu übernehmen, doch sie war schon zehn Tage über der Frist ohne Antwort. Nach wüstem Beschimpfen am Telefon ging ein Fax an das Sozialgericht, und ich bekam Recht. Den Antrag hatte ich für ADHS und Clusterkopfschmerzen aufgrund eines Moped-Unfalls gestellt. Dies sind aber nicht die einzigen Baustellen, die ich mit medizinischem Cannabis behandele; jedoch waren diese „austherapiert“, ich hasse dieses Wort.

Deine Heimat ist Plauen in unmittelbarer Grenznähe zu Tschechien. Diese Grenzregion ist für Drogentransit und Konsumenten ganz anderer Drogen bekannt. Weswegen haben die Beamten es auf Cannabis abgesehen?

Stephan: Das sind einfach die letzten Auswüchse der Prohibition. Es liegt auch an den sächsischen Behörden (Gesundheitsamt, Arzneimittelbehörden, Kassenverband und Apotheken), welche den fortlaufenden Einsatz von Cannabis ständig hinterfragen. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass gerade Hanf eine super Substitution für andere Drogen ist.

Aufgrund deiner Situation bist du Aktivist und möchtest über Cannabis aufklären. Bist du deswegen in der Schusslinie?

Stephan: Ich lebe meinen Konsum offen aus und verstecke mich nicht – wozu auch. Andere Patienten werfen auch ihre Pillen in der Öffentlichkeit ein oder nutzen Nasenspray, obwohl die Nase schon wund ist. Hier erwarte ich Toleranz, denn ich kann mich auch nicht über jedes Parfum oder ungeduschten Menschen beschweren.

Ich habe markante Kleidung und manche sehen dies als Provokation, wenn ich dann mit „Joint“ die Straße entlang gehe. Aber keiner spricht über die Leute, die Pillen schmeißen und „I love Oettinger“-Pullis tragen. Ich diskutiere sowas öffentlich.

Du hast im Vorgespräch erklärt, dass 2016 für eine Kleinmenge Speisehanf ein Bußgeld von etwas unter 500 Euro fällig war. Die Sache ist damit vom Tisch, dafür wird jetzt die Nummer aus dem Januar 2018 neu aufgerollt. Was hat es damit auf sich?

Stephan: Die Sache ist juristisch schwammig dokumentiert und nicht exakt zu belegen, um was es sich im Einzelnen handelt. Nur in einem Schreiben, das ich von der Staatsanwaltschaft habe, ist von Nutzhanf aus einem früheren Verfahren die Rede. Aber das kann auch sonst was heißen.

Anfang 2018 wurde deine Wohnung auf den Kopf gestellt. Jetzt ist Sommer 2019 und dieses konstruierte Delikt wurde noch immer nicht abschließend be- oder verhandelt?

Stephan: Der größte Witz ist aber, dass die Begründung für die letzte Hausdurchsuchung exakt auf das selbe „Telefonprotokoll“ gestützt wird, wie die vorletzte Hausdurchsuchung. Da ging es in einem angeblichem Telefonat und den vermeintlichen Erwerb bzw. die Anfrage für sechs Gramm Hasch. Dabei ist nicht einmal erkennbar, wer dieses Telefonat geführt haben soll, aber für das Schikanieren von Patienten reicht‘s.

Wie spielt sich solch eine Hausdurchsuchung im Detail ab? Unseren Lesern bleibt das „Vergnügen“ hoffentlich erspart.

Stephan: Es klopft und klingelt an der Tür, damit man auch gleich weiß, wer draußen steht. Sobald die Tür offen war, wurde ich hämisch von elf Beamten in voller Montur begrüßt. Mit Ausnahme des Leiters, den ich schon kannte, plus einer nutzlosen „Zeugin“, die das Ordnungsamt zur Verfügung gestellt hat. Ich hatte die Wahl, einen Anwalt anzurufen, doch als ich das tun wollte, war das Handy als Beweismittel eingezogen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die „Zeugin“ hat mich die ganze Zeit mit einem Grinsen angeglotzt, anstatt den Beamten auf die Finger zu schauen, was die in den anderen Räumen treiben. Die Einnahme der Medizin wurde bis zur Hälfte der Durchsuchung verweigert – mit der Begründung des Passiveinatmens und einem eventuellen Drogentest, da ist mir die Hutschnur geplatzt!

Danach durfte ich dann auf „Balkonien“ ein paar Mal an der Pfeife ziehen, unter Aufsicht von Beamten, ich hätte ja fliehen können, wo alle Medis auf dem Tisch standen und ich mit langer Unterhose und Trauma fürs Leben nicht wusste, wo unten und oben ist.

Danach wurden Unterlagen von mir verlangt. Als ich diese holen wollte, packte „Meister Propper“ mich am Kragen und „setzte“ mich wieder auf meinen Platz. Er stand die ganze Zeit in einer Armlänge auf Abstand. Das Therapietagebuch wurde mit breitem Grinsen und meiner Gegenwehr durchgelesen. Ein Rucksack wurde aufgeschnitten und die Bude komplett verwüstet. Original verpackte Speisehanfsamen mit der Aufschrift „Angelhanf“ wurden mitgenommen, obwohl es nach der vorherigen Durchsuchung ein Jahr lang bei mir gelassen wurde. Zur Erinnerung: Der Leiter kannte das Zeug – beim ersten Mal war es okay, beim zweiten Mal wurde es mitgenommen, um meinem behandelnden Arzt zu erzählen, es wären kiloweise Hanfsamen gefunden und beschlagnahmt worden! Dieses Vorgehen ist insgesamt illegal und stellt einen Angriff auf mich und meine Therapie dar!

Wie belastend sind diese unsinnigen Streitigkeiten?

Stephan: Also psychisch greift es weit ein. Man fühlt sich restlos verarscht, sitzt wie in einem Glashaus und sieht den Hagel kommen. Anwalt und Bußgeld zehren dann auch die Finanzen auf, denn es kommt ja immer wieder was Neues.

Du bist nicht allein Aktivist, du möchtest mit deinem Unternehmen innerhalb der Cannabis-Wirtschaft Fuß fassen. Dein Produkt: ein Hanfvollbier mit CBD, das „Panda Bräu“. Wie kamst du zu dieser Idee?

Stephan: Ich habe schlechte Erfahrungen mit Alkohol gemacht und habe immer gesehen, wie viele Probleme der Konsum von Alkohol mit sich bringt. Jahre vorher sagte ich schon im Bekanntenkreis: „Macht doch mal ein gutes Hanfbier“. Da keiner der Bierkenner aus meinem Umfeld sich daran versuchen wollte, habe ich mir einen Ruck gegeben. Erst habe ich die Theorie verinnerlicht und dann die ersten Experimente gemacht. Natürlich mit weniger Alkohol, doch dafür habe ich Hanf mit CBD verwendet und alles mit den passenden Rohstoffen verbraut.

Die Lebensmittelbehörde stuft CBD als Medikament ein, die EU als Novel Food. Du stehst mittellos ganz am Anfang und kannst deinen Verkauf nicht starten. Welche Perspektiven hast du dann eigentlich?

Stephan: Viele! Nur werden hier die Chancen vertan, kleine regionale Firmen am Hanf erblühen zu lassen. Nicht ohne Grund hat Tilray Ende 2018 Millionen von Dollars in Anhäuser Busch für die Produktion von THC- und CBD-haltigen Lebensmitteln für ganz Europa investiert – soweit es die Gesetze der Länder im Einzelnen zulassen.

Dein Panda Hanfbier hat mit Absicht sehr wenig Alkohol. Weswegen?

Stephan: Aufgrund vieler Medikamente und dem Unfall ist meine Leber nicht die beste. Das bedeutet auch, dass ich Alkohol nicht gut vertrage. So geht es nicht nur mir. Darüber hinaus habe ich auch Freunde und Bekannte, die trockene Alkoholiker sind und so von meinem Bier profitieren können. Viele dieser Menschen nutzen das alkoholfreie, um mal der Lust nach einem Bier nachzugeben, aber nicht gleich wieder an der Flasche zu hängen. Denn CBD hilft unterstützend bei der Substitution. Die Möglichkeiten mit CBD-prozentigem Bier sind riesig. Selbst für die Medizin ist da was machbar.

Wie viel Milligramm CBD sind denn pro Liter enthalten?

Stephan: Von etwa 10 bis fast 50 Milligramm ist alles dabei. Gern würde ich hier noch höher gehen, doch da komme ich dann über die erlaubten fünf Mikrogramm THC pro Kilo Bier.

Du hast derzeit keinen Vertrieb. Dennoch hast du ein Produkt – Rezepte für Hanfbiere, die du auf Kundenwunsch auch neu kreierst. Siehst du hier eine Chance?

Stephan: Es würde halt echt was verändern, wenn die kleinen Craft-Brauer sich miteinander verbinden und sich gegenseitig stützen.

Du möchtest cannabinoidhaltige Produkte auf den Markt bringen. Erschwert dieses Vorhaben deine persönliche Situation gegenüber den Beamten?

Stephan: Klar, doch wo ein Wille ist, da findet sich ein Weg.

Kennst du andere Vorfälle, wo Cannabis-Patienten auf ähnliche Weise schikaniert werden?

Stephan: Ach, da gibt es mehrere. Aus der Region und auch aus Bayern oder anderen repressiven Ecken des Landes. Je mehr man sich äußert und sich mit Sachen nicht einfach abfindet, umso mehr gerät man ins Visier der Beamten. Aber wenn es Probleme mit der Verfügbarkeit und der Qualität gibt, darf man nicht schweigen, denn es betrifft auch andere, die eventuell gar nicht wissen, womit deren Material belastet ist.

Das alles zeigt überdeutlich, dass selbst mit dem Cannabis-Medizin-Gesetz anerkannte Patienten noch keine Ruhe vor der Kifferjagd haben. Wir bedanken uns für dieses aussagekräftige Interview und hoffen, dass umgehend weitere Schritte in die richtige Richtung erfolgen, damit letztendlich auch Genuss-Konsumenten mit ein paar Pflanzen oder dem Monatsvorrat in der Schublade nichts mehr zu befürchten haben.

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