Die fortdauernde Evolution von Cannabis durch Mutation

Soft Secrets
24 Apr 2021

Die Konturen unserer Lieblingspflanze sind wohl bekannt, schon legendär. Von der Packung für Zigarettenblättchen bis zum Käppi des kleinen Cousins können wir uns diesbezüglich kein Produkt vorstellen, wo deren Abbildung nicht vorzufinden ist. Aber ist das Aussehen dieser einzigartigen Pflanze über all die Jahrhunderte unverändert geblieben? Haben die heiß geliebten Blütenknospen schon immer diese Form oder Farbe gehabt, die sie so unverkennbar machen? Von eigenartiger apikaler Vermehrung über originelle Farben bis hin zum unglaublichen Aussehen der Blätter - in der Cannabiswelt lässt sich so manches auf Mutationen zurückführen! Zunächst eine kleine Erinnerungshilfe, was unter einer Mutation zu verstehen ist. Sie ist ein natürliches Zufallsereignis, das die DNA-Zusammensetzung oder -Organisation in qualitativer und quantitativer Hinsicht beeinflusst. Mutationen sind verantwortlich für die biologische Vielfalt, fungieren als schöpferischer Motor aller Arten, die wir heute kennen. Dieser Artikel befasst sich sowohl mit natürlich vorkommenden Mutationen ohne jeglichen menschlichen Einfluss als auch mit solchen, bei denen der Mensch eine Rolle gespielt hat.


 

Eine Veränderung der Struktur bringt zuweilen nicht wieder zu erkennende Pflanzen hervor.

Poliploidie und Fasziation - Cannabis ist eine diploide Pflanze, d. h. sie trägt zwei Chromosomensätze. Poliploidie hingegen bedeutet, dass eine Zelle mehr Sätze als diese beiden trägt. Dieses Phänomen trägt sehr stark zur Evolution vieler Pflanzenarten bei, da neue positive Eigenschaften festgehalten werden. Viele Kulturpflanzen sind polyploid: Kartoffel, Baumwolle, Weizen, Kaffee, Zitronenbaum, Gurke, Banane, Mandarine…

[caption id="attachment_41270" align="alignnone" width="1920"] Von links nach rechts: Beldia von Khalifa Genetics, Siberian Ruderalis von Khalifa Genetics, Ducksfoot von Underground Seed Collective, Subterfuge kultiviert von Delicaseeds[/caption]



Bei Cannabis kann Polyploidie in vorteilhaften Eigenschaften zum Ausdruck kommen, etwa in größeren Erträgen und besserem Saatgut, oder - im Gegenteil - offensichtliche Nachteile mit sich bringen. Ein Beispiel wäre die Fasziation (ungewöhnliche Deformationen an Pflanzen), etwa wenn sich an Spitzen die Blütenknospen teilen und vermehren. Solche Mutationen können zufällig und natürlich sein, aber auch künstlich herbeigeführt werden. Fasziation kann sich aber auch durch eine von Insekten übertragene Krankheit ergeben, Mutationen sind nicht immer der Grund dafür - seien Sie also vorsichtig. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung über die Polyploidie bei Cannabis zeigt, dass immer noch neue Eigenschaften gefunden werden können. Wir werden hier nicht ins Detail gehen, aber Nachforschungen könnten eines Tages neue, noch unbekannte Genetiken zutage fördern. Fortsetzung folgt.

Quirlständige Phyllotaxis - Wir alle kennen die klassische Form einer Cannabispflanze: an jedem Nodus befinden sich zwei Blätter und zwei Zweige. Genau dies bedeutet Phyllotaxis: die Anordnung von Blättern oder Zweigen an den Stängeln. Nur hält sich Mutter Natur nicht immer an dieses Muster! Ein Nodus kann drei Blätter und Zweige tragen, oder sogar mehr! In manchen Fällen erscheinen Pflanzen dicker. Das ist ästhetisch sehr ansprechend und kann hinsichtlich der Produktion sogar einen Vorteil darstellen, wenn es richtig ausgenutzt wird!

Zwillingsembryonen - Hier handelt es sich um eine Mutation, die mehr als nur einen Grower erfreut: Polyembryonie. Angenehme Überraschung - nur ein Same bringt zwei Keimlinge hervor. Da jeder einzelne seine eigene Wurzel hat, ist es möglich, sie in den ersten Lebenstagen zu trennen. Eine dieser beiden Pflanzen ist eine exakte Kopie der Mutter, also eine ideale Gelegenheit, um später Stecklinge zu entnehmen! Es kann auch Drillinge geben, aber diese Art der Mutation ist noch seltener!

"Creeper"-Cannabis - "Creeper-Cannabis", auch "Crawling-" oder "Sprawling-Cannabis" werden Gewächse mit der spezifischen Eigenschaft genannt, die das Wachstum von Seitenästen fördert bis zu dem Punkt, wenn sie den Boden berühren. Einige dieser Pflanzen entwickeln dann an diesen Kontaktstellen neue Wurzeln! Diese Art seltener Mutation kommt hauptsächlich in tropischen Regionen vor, da solche Individuen offensichtlich eine hohe Luftfeuchtigkeit bevorzugen, was derartige Fähigkeiten mit erklären könnte.

"Stringy" Cannabis - Auch als "faseriges" Cannabis beschrieben werden einige äquatoriale Genetiken, die aus Südamerika, Südostasien und Afrika stammen und "strähnige" Blütenstände produzieren. Diese Pflanzen entwickeln anstatt kompakter Blütenknospen Calyxe auf der gesamten Länge der Zweige. Dies führt zum Erscheinen von unstrukturierten Blütenständen mit Deckblättern (Blattteil an der Basis der Blüte), die von einem Ende zum andern wachsen (genau wie bei der Sorte "Dr. Grinspoon"). Ursprünglich als Anpassung an feuchtes Klima erachtet, kommt dieses Merkmal auch bei Landrassen außerhalb der tropischen Regionen vor, wie z.B. bei einigen Phänotypen der Chefchaouen Beldia, die im marokkanischen Rif beheimatet ist.

Unglaubliche Blattmutationen

Blattmutationen sind sehr vielfältig. Bevor wir weiter ins Detail gehen, hier eine recht häufig vorkommende natürliche Mutation an einer marokkanischen Beldia. (vgl. Foto 1.1)

Blattknospe - Eine Knospe entwickelt sich zentral an der Basis des Blattendes, am äußersten Ende des Blattstiels. Es bildet sich eine Calyx oder eine Blüte, die in manchen Fällen sogar Samen tragen kann. Jedoch bringt diese genetische Anomalie nur sehr wenige Vorteile in Bezug auf die Produktion, da sie Mini-Blüten von sehr vernachlässigbarer Größe produziert.

Gezackte Blätter - Diese Mutation, eine stärkere Zackung der Blätter, ist immer natürlich. Die Blätter sind manchmal wie Sägeblätter gezahnt - diese Art der Mutation kommt bei einigen sibirischen Ruderalis natürlich vor (vgl. Foto 1.2).

Ducksfoot - Auch "Webbed Leaf" genannt, ist eine Indica-Landrasse, die aus Australien stammt. Genetisch rein, produziert sie schwimmhäutige Blätter, die wie Entenfüße aussehen, daher der Name. Ihre ungewöhnliche Form ermöglichte die Züchtung mehrerer neuer Genetiken, die viel unauffälliger sind und sehr merkwürdige Blattmuster aufweisen (vgl. Foto 1.3).

[caption id="attachment_41269" align="alignnone" width="1920"] Von links nach rechts: Wailing Valley (rosa Phänotyp) von Trident Seeds, Wailing Valley (dunkler Phänotyp) von Trident Seeds, Pueblo Picasso F2, kultiviert von Fygtree, Cambodian Albino von Khalifa Genetics[/caption]



ABC - L'Australian Bastard Cannabis, auch ABC, Cannabis Australis oder Mongy Weed genannt, ist eine wenig bekannte australische Sorte. Die Herkunft ist so mysteriös wie ihre Blätter. Betreffs der Vorgeschichte gibt es mehrere Versionen, die sich aber gegenseitig widersprechen. Einige sagen, ABC sei das Ergebnis einer Sativa-Kreuzung, die von englischen Botanikern importiert wurde, andere, sie sei in den 1800er Jahren mit arabischen Kamelhirten ins Land gekommen. Und die neueste Theorie besagt, es handle sich um eine australische Landrasse, die während der Kontinentalverschiebung von den anderen isoliert wurde. Eine komplizierte Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass die allerersten fossilierten Spuren von Cannabispollen auf 28 Millionen Jahre zurückdatieren. Also, Urahn, entfernter Verwandter oder geheimnisvoller Hybride? Jüngste Studien von Medical Genomics stützen die letzte These und verweisen auf mehrere Unterschiede im genetischen Profil der ABC im Vergleich zu modernen Sorten.

Bisher für den gewöhnlichen Grower eher schwierig zu finden, sind nun einige ABC-Samen, die ihrer Nachkommen ("Subterfuge", (vgl. Foto 1.4)) und ihre Hybriden im Mainstream-Angebot erhältlich. Sie sind jedoch nicht für einen einmaligen Grow geschaffen, sondern benötigen ein Minimum an Hybridisierung, um ein qualitatives Produkt zu erzeugen, das diese seltsame Mutation ebenfalls aufweist.

Freakshow, "Cannabis Lusus Monstra" - Zu den von Menschenhand geschaffenen Mutationen gehört auch diese neue Linie namens Freakshow. Sie ist das Resultat einer Kreuzung zwischen einer (Big Bud x Skunk#1) und einer (Big Sur Holy Weed x Banana Kush), die von dem Züchter Shapeshifter erschaffen wurde. Eine langwierige Arbeit der Stabilisierung war nötig, um deren einzigartige Eigenschaft zu sichern. Diese sativadominante Linie ermöglichte die Bildung sehr ungewöhnlicher Blätter, die manchmal auch "Farnblätter" genannt werden. Zum verblüffenden Aussehen gesellt sich der große Vorteil, dass die Pflanze erstaunlich unauffällig wirkt: Sie sieht nicht aus wie eine gewöhnliche Cannabispflanze, wird also leicht ihren Platz im Garten finden, unbemerkt.

Markante Farben

Mutationen können zur Erzeugung von ungewöhnlichen Farben beitragen: Rote Blüten, violette Stängel oder Zweige, rosafarbene Blütennarben oder sogar violette Trichome - jeder Pflanzenteil kann auf vielerlei Art betroffen sein. Manche Orte scheinen für die Entwicklung von Farben besser geeignet zu sein als andere. Die "Wailing Valley", die sich in den Himalaya verirrt hat, kann als Musterbeispiel dienen: rosa Blütennarben, rote Blüten, violette/schwarze Blätter ... Solche Pflanzen haben ihre eigenen Gründe, diese farbigen Züge zu entwickeln: Widerstandsfähigkeit gegen Kälte oder Sonne, Anlocken von Bestäubern, Endozoochorie (Samenverbreitung durch Wirbeltiere über Nahrungsaufnahme (vgl. Foto 2.1 und 2.2))

Variegation (Panaschierung), ein ziemlich häufiges Merkmal, aber kompliziert zu stabilisieren - Variegation ist die Unfähigkeit einer Pflanze, auf Blättern Photosynthese zu betreiben. Von Natur aus in der Pflanzenwelt vorhanden kann der Züchter auch auch gerade danach suchen und sich dieser Eigenschaft bedienen. Das große Problem dabei? Die Stabilisierung solcher Gene: Es handelt sich um rezessive Merkmale, was bedeutet, dass es komplizierter ist, sie zu stabilisieren. Trotzdem könnte dies aus ästhetischen Gründen oder hinsichtlich der Tarnung von Cannabispflanzungen von Interesse sein. Genau diese Forschung wurde an der Pueblo Picasso durchgeführt, die zweifarbige Blätter bildet. Hier wurde das Merkmal stabilisiert, die Nachkommenschaft produziert ebenfalls diese so auffällige Panaschierung (vgl. Foto 2.3).

Albinismus - Diese besondere Mutation steht für die Unfähigkeit einer Pflanze zur Photosynthese. Sie verursacht systematisch ein schnelles Absterben der jungen Pflanzen; sie gehen ein, wobei die Vorräte bis zuletzt aufgezehrt werden (vgl. Foto 2.4). Als extremer Sonderfall scheint die Stabilisierung von Albinismus aussichtslos zu sein.

Mutationen sind in der Botanik und im Cannabis-Universum weit mehr involviert als wir uns vorstellen können. Sie sind extrem unterschiedlich und tragen oft zur Entstehung neuer Phänotypen oder sogar neuer Genotypen bei. Diese Vielfalt ist so groß, dass es unmöglich wäre, hier auf alle Mutationen einzugehen, aber Sie können bei Robert C. Clarke, Cannabis Evolution and Ethnobotany weitere Informationen zu diesem Thema finden. Eines scheint sicher: Die ungewöhnliche Mutation, welche man heute im Garten zu Gesicht bekommt, könnte die neue Sorte von morgen sein. Denn darin besteht der größte Vorteil dieser neuen Mutationen: die fortwährende Evolution der Arten, das Verschwinden einiger, aber auch das Erschaffen von neuen.

Vielen Dank an Al von Khalifa Genetics, Cristalin von Underground Seeds, FygTree, Trident Seeds und Delicaseeds für ihre Hilfe bei der Erstellung dieses Artikels.

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