COVID-19 CANNABIS
Anfang April 2020 gab es weltweit über eine Million bestätigte Fälle von Corona. COVID-19 führt rund um den Globus zu beispiellosen Schließungen und niemand weiß genau, wann die Pandemie ihren Höhepunkt erreichen wird und die Folgen abklingen werden.
Die Auswirkungen der Pandemie sind in allen Bereichen von Industrie und Gewerbe zu spüren, bei internationalen Konzernen, lokalen Unternehmen, im Bildungswesen, im Gastgewerbe, auf Reisen, beim Tourismus, bei großen öffentlichen Veranstaltungen - und in der Cannabisindustrie, die keine Ausnahme bildet. Wie verändert diese beispiellose internationale Krise der öffentlichen Gesundheit das Gesicht der legalen Cannabisindustrie - zum Schlechteren oder in manchen Fällen sogar zum Besseren?
Die meisten Cannabiskonsumenten haben während des Lockdowns ihren Verbrauch entweder beibehalten oder erhöht. Verbraucherbefragungen, die in den USA, Kanada und im Vereinigten Königreich an erwachsenen Cannabiskonsumenten im Alter zwischen 16 und 65 Jahren durchgeführt wurden, zeigten, dass medizinische Nutzer am ehesten ihr derzeitiges Konsumniveau halten, während Freizeitkonsumenten eher dazu neigen, den Verbrauch zu erhöhen, da sie versuchen, den Lockdown weniger langweilig oder stressig zu gestalten.
Diese Nachfragesteigerung hat unter den jetzigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu rekordverdächtigen Umsätzen und (nach Berichten) zu Preiserhöhungen auf dem Schwarzmarkt sowohl in Nordamerika als auch in Europa geführt. Berichten aus Spanien und Frankreich zufolge stieg der Preis für Cannabis und Haschisch aufgrund der bloßen Nachfrage auf das Doppelte oder Dreifache des üblichen Preises. Die Regierungen der Niederlande und in Landesteilen wie Quebec haben sich dafür entschieden, die Cannabisshops während des Lockdowns offen zu halten - nicht nur um die Versorgung mit Arzneimittelverschreibungen aufrecht zu erhalten, sondern auch um einen ähnlichen Anstieg der Geschäftigkeit und Preise wie auf dem Schwarzmarkt zu vermeiden.
Legale Cannabis-Dispensaries in den USA und Kanada erleben einen Umsatzboom, nachdem sie als "wichtige Unternehmen" eingestuft wurden und offen bleiben dürfen. Dies wird allein für sich von Seiten der Cannabisindustrie als ein bedeutender Moment des Fortschritts und der Anerkennung angesehen. Die Tatsache, dass Cannabis-Dispensaries neben Generika-Apotheken und Lebensmittelgeschäften als "unentbehrlich" eingestuft werden, zeigt, wie weit sich die allgemeine Wahrnehmung von Cannabis zum Besseren verändert hat. Zweifellos wird dieser neue gehobene Status dazu beitragen, die Kampagnen und Forderungen für eine weitgehendere Legalität zu unterstützen.
"Legalisierte" Bundesstaaten wie Kalifornien, Colorado, Illinois, Maryland, Michigan, New Jersey, New Mexico, New York, Ohio, Oregon, Washington, Chicago, Denver sowie San Francisco erleben alle eine Umsatzsteigerung. Um eine Vorstellung vom Ausmaß des Nachfrageanstiegs zu bekommen: Die Verkäufe in Denver lagen am 23. März um 392 % höher gegenüber denen des gleichen Wochentags vor dem "stay-home order".
Es gibt jedoch nicht für alle gute Nachrichten, denn während in einigen US-Bundesstaaten die Umsätze gestiegen sind, leiden andere, in denen der Cannabisverkauf eng mit dem Tourismus verbunden ist. Märkte wie Las Vegas sind besonders hart betroffen.
Von funktionsfähig gebliebenen Unternehmen haben sich allerdings viele angepasst, um die Nachfrage zu befriedigen, indem sie beispielsweise Dienstleistungen wie Essen zum Mitnehmen und Lieferungen anbieten oder mit telemedizinischen Anwendungen aushelfen, um Interaktionen zwischen Personen zu minimieren. Sogar der Cannabis-Riese "Leafly" mischt kräftig mit und hat einen Cannabis-Lieferdienst für Arizona, Florida, Maryland, Michigan, Nevada, New York und Oregon ins Leben gerufen.
Einnahmeverluste sind aufgrund von Faktoren wie unterbrochene Lieferketten, Ladenschließungen, eingeschränkte Bewegungsfreiheit und Konjunkturflaute unvermeidlich. Den "Lockdown" kann man jedoch auch als eine Zeitphase der Innovation für Cannabisunternehmen sehen, in der neue Betriebssysteme entwickelt werden, welche die zukünftigen Praktiken verbessern könnten.
Lieferdienste sind dafür ein perfektes Beispiel. Wenn nun die Dispensaries zur Zeit ihre eigenen Lieferdienste betreiben müssen, kann es sein, dass dieses Geschäftsmodell zur "Norm" wird - in der Art und Weise, wie Lebensmittelzustelldienste, etwa Deliveroo, heute existieren.
Dies würde auch im Leben nach dem Lockdown gut funktionieren und käme denjenigen zugute, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder in abgelegeneren Gebieten mit wenig oder keinem Zugang zu Verkehrsmitteln leben.
Die Lieferkette ist ein weiterer Bereich, der sich in diesen unsicheren Zeiten, wenn es gilt, irgendwie weiterzumachen, als Problemfeld erweist. Medizinische Ressourcen, einschließlich der Zeit und Aufmerksamkeit des medizinischen Personals, sind knapp und werden auf die Bekämpfung des Virus konzentriert. Von Importen abhängige Regionen sehen sich ebenfalls Herausforderungen gegenüber, da die Grenz- und Einfuhrkontrollen verschärft werden und das mit der Logistik befasste Personal nicht mehr verfügbar ist.
Die Regulierungsbehörden müssen sich anpassen, um sicherzustellen, dass Versorgungswege offen bleiben und Lieferanten die Nachfrage decken können. In Pennsylvania zum Beispiel können Patienten nun online Rezepte erhalten, die statt 30 Tage 90 Tage lang gültig sind. Auch im Vereinigten Königreich hat eine im Land ansässige medizinische Cannabisorganisation mit dem Innenministerium Notfallmaßnahmen vereinbart, um erstmalig sublinguale Cannabismedikamente einzuführen.
COVID-19 führt zweifellos zu Lieferengpässen, die durch die komplizierten Abläufe bei der Beschaffung von Rezepten, Ausgabe von Cannabis durch die Dispensaries und durch Händler, die Cannabis liefern, bedingt sind. In Spanien haben etwa 200.000 Patienten, die normalerweise Medikamente von halblegalen Cannabisclubs beziehen, keinen Zugriff zu Vorräten. Diese Krise des Gesundheitswesens hat überaus deutlich gemacht, dass das derzeitige System der Versorgung mit medizinischem Cannabis in den meisten Regionen zu kompliziert, unzureichend, anfällig für Erschütterungen wie die aktuelle Pandemie ist und durch umfassende medizinische Zugangsregelungen ersetzt werden muss, um die Deckung der Nachfrage seitens der Patienten sicherzustellen.
COVID-19 hat die Weltwirtschaft in die Knie gezwungen und Analysten des IWF und der UNO sagen voraus, eine globale Rezession sei so gut wie unvermeidlich. Was können wir in einer solch unsicheren Lage erwarten, wie wird die Zukunft der Cannabisindustrie aussehen? Um dies zu beantworten, hilft es, einen Blick auf die Finanzkrise von 2008 zu werfen, die nicht nur die globale Wirtschaftslandschaft umgewandelt, sondern auch das Verbraucherverhalten bis zur Unkenntlichkeit verändert hat.
Es kam zu einer Verlagerung weg von professionellen Dienstleistungen, da die Verbraucher sich eine "Do-it-yourself"-Einstellung aneigneten, indem sie beispielsweise Mitgliedschaften in Fitnessstudios und Besuche von Friseursalons zugunsten Heimtrainingsgeräten und Haarfärbemitteln zur häuslichen Selbstanwendung aufgaben. In ähnlicher Weise rückten die Verbraucher ab von Premium-Handelsmarken und kauften eher bei Discountern. Dies könnte sich innerhalb der Cannabisindustrie wiederholen, wenn sich die Konsumenten von den Luxusmarken weg zu billigeren Alternativen bewegen, insbesondere weil Großeinkäufe aufgrund der andauernden sozialen Distanzierungsmaßnahmen und Selbstisolierung weiterhin populär sind.
Eine schwere Rezession nach der COVID 19-Krise bedeutet einen internationalen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten verbunden mit einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen. Die Reaktion der Regierungen der USA, Australiens und Großbritanniens besteht im Auflegen riesiger wirtschaftlicher Hilfspakete für die breitere Bevölkerung, was großartig ist, in Zukunft aber sehr wahrscheinlich auf uns zurückfallen und uns peinigen wird in Form von höheren Steuern. Die mögliche Legalisierung von Cannabis bietet diesen Regierungen jetzt mehr denn je die Chance, einen Teil der Ausgaben, die ihnen durch COVID 19 aufgezwungen werden, zurückzuholen, ohne zu unpopulären Erhöhungen von obligatorischen Steuern wie der Einkommenssteuer und Gemeindesteuer greifen zu müssen.
Der Beweis dafür ist in den Ländern und Bundesstaaten zu sehen, die bereits von Steuereinnahmen aus dem legalen Cannabismarkt profitieren. Beispielsweise meldeten Colorado und Washington für das Jahr 2019 Cannabis-Umsatzssteuerbeträge in Höhe von 303 Mio. USD bzw. 400 Mio. USD.
In Anbetracht dieser Zahlen und der Schätzung, dass eine "legale" Cannabisindustrie im Vereinigten Königreich bis zum Jahr 2024 einen Wert von bis zu 3 Milliarden Pfund haben könnte, scheint es, dass eine im "Schnellverfahren" durchgeführte Legalisierung und die damit verbundenen Steuereinnahmen vielen Regierungen in der entwickelten Welt als eine attraktive Option erscheint.
Dies wäre tatsächlich ein realisierbarer Schritt - man bedenke nur, was wir bereits mitangesehen haben, wie Regierungen, Gesundheitssysteme und der globale Handel ihre Praktiken grundlegend ändern und sich angesichts von COVID-19 schnell anpassen müssen. Pionierregionen der Cannabislegalisierung - in Kanada und mehrere US-Bundesstaaten - haben bereits die Grundlagen für ein verantwortungsvolles System der Cannabisregulierung geschaffen und wissen, was in Bezug auf Lizenzsysteme, Überwachung und Einhaltung der Regelungen, Standardisierung und Handelslogistik funktioniert und was nicht. All dies könnte als Blaupause dienen und schnell von anderen Regionen übernommen werden.
Die hohe Zahl von Todesfällen in Gefängnissen auf der ganzen Welt im Zusammenhang mit COVID-19 hat die Diskussion über die Kriminalisierung von Cannabis wiederaufleben lassen. Für Gefängnisinsassen, welche aufgrund von Cannabis-Anklagepunkten verurteilt wurden und möglicherweise Vorerkrankungen haben, könnte es in Wirklichkeit aufgrund der Verbreitung des Virus im Gefängnissystem das "Todesurteil" bedeuten.
Die Cannabisprohibition kriminalisiert Millionen einfache Leute. So wurden beispielsweise 2018 in den USA mehr als 609.000 Personen allein wegen "Drogenbesitzes" verhaftet, während in der EU 2017 mehr als 840.000 Fälle dieses Straftatbestandes verzeichnet wurden. Die Argumente für die Aufhebung dieser Verurteilungen werden durch den Widerspruch bestärkt, der darin besteht, dass Cannabis-Dispensaries von den Regierungen allgemein als "wesentliche Dienstleistungen" zugelassen sind, die während der Pandemie offen bleiben müssen. Dieselben Regierungen halten jedoch Menschen wegen "krimineller Aktivitäten" im Zusammenhang mit Cannabis eingesperrt, was ihnen am Ende das Leben kosten könnte!
Neben dem Gesichtspunkt der menschlichen Ungerechtigkeit spielen die Finanzen eine Rolle! Allein in den USA werden jedes Jahr 7,7 Milliarden Dollar an Steuergeldern für die Durchsetzung veralteter Drogengesetze verschwendet. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Abschwungs und der enormen Staatsausgaben infolge COVID-19 würde eine Verringerung dieser Belastung des Justizsystems mehr Mittel freisetzen, um die Gelder zurückzuzahlen, mit denen ganze Staaten aus finanziellen Notlagen gerettet werden müssen.
Obwohl wir nun hoffentlich den Höhepunkt dieser schrecklichen Viruspandemie erleben, werden die Nachwirkungen noch lange Zeit spürbar sein; die Welt, an die wir gewöhnt waren, und die Art und Weise, wie wir unser Leben führten, werden sich erheblich verändern. In mancherlei Hinsicht zum Schlechteren, aber hoffentlich in anderen Dingen zum Besseren!