Cannabis und spirituelles Leben

Soft Secrets
16 Jan 2018

Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die psychoaktive Drogen aus einer spirituellen Motivation heraus nehmen.


Der psychoaktive Hanf beflügelt spirituelles Erleben

Auch wenn in vielen Werken der konventionellen spirituellen Disziplinen immer wieder zu lesen ist, dass Drogen ungeeignete Werkzeuge für den Erleuchtungsweg seien, so haben die Schamanen und geistig geöffneten Bewusstseinsforscher dieser Welt diese ad nauseam wiederholte und ohnehin unhaltbare These tausendfach Lügen gestraft. Der schamanische Weg als Urtechnik und die psychedelische Therapie als modernes spirituelles Verfahren – um nur zwei Pfade zu nennen – haben bewiesen, dass sich mit Hilfe von psychoaktiven Substanzen die geistigen, nicht sichtbaren, andersweltlichen Realitäten explorieren lassen, und dass die Substanzen dabei ein wichtiger Schlüssel zu Selbsterkenntnis und Heilung sein können. Zu diesen Mitteln gehören nicht nur die klassischen Psychedelika, sondern auch Cannabis. Wie wir wissen, gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen echter gelebter Spiritualität und Religiosität. Spiritualität ergibt sich im Idealfall aus der eigenen Erfahrung, zum Beispiel als Resultat von Visionen, psychedelischen Erlebnissen, spontanen ekstatischen Zuständen, metaphysischen Offenbarungen und so weiter. Religiosität hingegen ist gekennzeichnet durch das Nachbeten fremdbestimmter, meist pseudospiritueller Dogmen. Wichtig ist nicht die eigene Erkenntnis (die in den meisten Religionen sogar unerwünscht ist), sondern die Unterwürfigkeit und Hörigkeit gegenüber einer Kirche, einem geistigen Anführer oder einer Heiligen Schrift (deren Verständnis in unseren modernen Zeiten in vielen Fällen ohnehin von Missinterpretationen unmöglich gemacht wird).

Trotzdem kann festgehalten werden, dass auch die Religionen in ihren Anfängen sicherlich der Sehnsucht nach Spiritualität entsprungen sein mögen und vermutlich sogar den Anspruch hatten, ihre Anhänger geistig zu schulen. Psychoaktive Pflanzen und Substanzen waren da von Anbeginn an Mittler zwischen den Welten, wenn nicht gar, wie manche Kollegen zu mutmaßen gewillt sind, die Psychedelika überhaupt erst eine wie auch immer geartete Spiritualität und in der Folge die Religionen zu Tage gebracht haben. Konsultieren wir den Ethnopharmakologen Christian Rätsch zu den Anfängen des Schamanismus (der keine Religion darstellt, sondern in all seinen weltweiten Ausprägungen ein echter spiritueller Erkenntnisweg ist), so liefert er die Verknüpfung zum Hanf gleich mit: „Von alters her ist der Hanf eine Schamanendroge. Die Entdeckung pharmakologisch wirksamer Pflanzen wird im allgemeinen den Schamanen zugeschrieben, so auch die Entdeckung des Hanfes und dessen vielfältiger Verwertbarkeit. Er wurde schon im Neolithikum in Zentral- und Ostasien benutzt. Von dort stammt auch unser Wort „Schamane“. In der tungusischen Sprache bezeichnet shaman den heilenden prophezeienden Bewusstseinskünstler. Der früheste literarische bzw. ethnohistorische Beleg für Hanf findet sich in schamanistischen Texten aus dem alten China.“ Greifen wir den begonnenen roten Faden also hier auf und beginnen unsere kleine Studie zur spirituellen Historie des Cannabis: Schon vor Tausenden von Jahren gehörte der Hanf als Werkzeug auf dem Weg der Erkenntnis dazu – auch in unseren Gefilden. Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl erläutert: „In unserem Kulturkreis war der Hanf, seit der Jungsteinzeit, also noch vor den Kelten, eine wichtige Kulturpflanze. Das belegen die auf 5500 v.u.Z. datierten Grabfunde aus Thüringen. Die Germanen weihten die Faser- und Textilpflanze der holden Göttin Freya. Im vorchristlichen Kultus wurden die nahrhaften Samenkörner in den Nächten zur mittwinterlichen Sonnenwende den Verstorbenen und Ahnen als Speise geopfert.

Für viele Naturvölker sind es die Toten, die vom 'Jenseits' aus, die Fruchtbarkeit im Diesseits bewirken: So ist es verständlich, dass Hanfsamen Fruchtbarkeit und Gedeihen symbolisierten. Die Gespinstpflanze Hanf machte die Fahrt auf dem offenen Meere möglich, denn aus seinen festen Fasern ließen sich Segel und Taue herstellen. Später lieferte die Pflanze das Papier, auf dem die Bibel, das 'Wort Gottes', gedruckt wurde – so wurde der Hanf unwillkürlich auch Träger der sakralen Kultur des christlichen Europas“. Richten wir nun unseren Blick nach Asien. Im Hinduismus, im Buddhismus, im Tantra, im Taoismus und Sufismus gehört Cannabis schon seit Urzeiten zu den geistbewegenden Hilfsmitteln der spirituellen Praxis. So soll sich auch zum Beispiel der historische Buddha, Siddharta Gautama, während seiner sechs Jahre andauernden Askese ausschließlich von Hanfsamen ernährt haben. Im Buddhismus des Vajrayana-Pfads, der in Tibet, Nepal, Indien, Sikkim und anderenorts praktiziert wird, ist die Cannabispflanze ein wichtiges rituelles Werkzeug und wird als solches auch in einigen spirituellen Texten erwähnt, beispielsweise im Tara Tantra. In Südostasien haben diverse Sekten aus Buddhismus, Shivaismus und anderen Richtungen den Cannabiskonsum in ihre Meditationspraxis integriert, um damit besseren Zugang zum Zustand des Samadhi zu haben. Eine ganz besondere Stellung nimmt der Hanf im Hinduismus ein – vor allem im Shivaismus. Weil Shiva unter anderem der Gott der Ekstase und des Rauschs ist, verehren zum Beispiel die shivaistischen Wanderasketen, die sogenannten Sadhus, ihren Gott durch das geradezu unablässige Rauchen von Cannabis und werden damit sozusagen zu einer Emanation Shivas.

Lassen wir dazu abermals Wolf-Dieter Storl zu Wort kommen: „In der Hanfpflanze lebt Shiva ('der Gütige'), der auch als Mahadev, als der 'Große Gott' bekannt ist. Die Pflanze ist ein Sakrament, welches – im korrekten rituellen Kontext und mit einer unvoreingenommenen Gesinnung – die Kommunion mit diesem 'Gott der Götter' ermöglicht. Sie führt in die Tiefe, in den Himmel. Sie verbindet, so sagen die Hindus, mit Shiva, der ja zugleich unser eigenstes, wahres Selbst ist“. In China galt der Hanf einst als heilige spirituelle Pflanze. Nicht umsonst nannte sich China früher das „Land der Maulbeeren und des Hanfs“. Chinesische Taoisten nutzten bereits im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung Cannabis und Ginseng als Divinationsdroge, zum Beispiel, um die Zukunft vorherzusagen – und auch für rituelle Räucherungen wurde der Hanf im frühen Taoismus häufig genutzt. Im Shintoismus Japans wird Cannabis mit der göttlichen Reinheit assoziiert. Die Shinto-Priester verwendeten einst einen „gohei“ genannten Stock mit Hanffasern, um die Umgebung zu reinigen und eine spirituelle Atmosphäre herzustellen. Nach shintoistischem Glauben können spirituelle Reinheit und böse Mächte nicht gleichberechtigt nebeneinander existieren (was im krassen Gegensatz zu den Interpretationen der schamanischen Weltsicht steht), und so vertrieben die Priester mit Hilfe des Hanfs das Böse, indem sie den (spirituellen) Raum reinigten. Im Iran der Antike verwendeten die Schamanen den Rauch der Cannabispflanze, um in den erwünschten ekstatischen Zustand zu gelangen.

Auch die Heilige Schrift des iranischen Religionsgründers Zarathustra, das (Zend-) Avesta, beschäftigt sich mit dem Hanf. So ist er die erste von 10 000 empfohlenen Medizinalpflanzen und gilt in seiner trinkbaren Form als „bangha“ als spirituelles Hilfsmittel, das zutiefst mystische Erfahrungen ermöglicht. Von den Skythen, einem ehemaligen Reiter- und Nomadenvolk des Ostirans, ist bekannt, dass sie Räucherungen von Cannabis ruderalis und deren Samen verwendeten, um, wie Christian Rätsch es angibt, „in schamanistischer Trance die Seele eines Verstorbenen ins Jenseits zu geleiten.“ Führende Ethnobotaniker bezeichnen diese Tradition jedoch mit einem abwertenden Unterton als „Familienschamanismus“. Streifen wir damit weiter den islamisch geprägten Kulturraum. Der Prophet Mohammed, der von etwa 570 bis 632 unserer Zeitrechnung lebte, hatte laut der Überlieferung zwar den Alkohol verboten, den Hanf jedoch nicht. Obwohl einige orthodoxe Gruppierungen ganz eigenwillig die Cannabispflanze trotzdem als „verbotene Frucht“ betrachten, gab es unter den frühen muslimischen Strömungen viele, die den Hanf als Heilige Pflanze ansahen. Die muslimischen Mystiker, die Sufis, sahen im Cannabis, insbesondere im Haschisch, ein Werkzeug, um das mystische Bewusstsein und letztlich den göttlichen Funken in sich und außerhalb zu erwecken. In Süd- und Zentralafrika gilt der Hanf unter Anhängern diverser spirituellen Strömungen als heilige Universalpflanze und als Symbol für Frieden und Freundschaft. Bei manchen Stämmen gilt das Rauchen von Cannabis als Pflicht. Und dass die Rastafari im Hanf ein Sakrament sehen, mit dem sie meditieren, zu Gott beten und die Heiligen Schriften studieren, dürfte den meisten schon mal untergekommen sein. Für die Rastafari ist „Tha Herb“ der Schlüssel zum inneren Selbst, zum Universum und zu Gott. Cannabis als heiligste Ritualpflanze verhilft dem Glauben der Rastabewegung nach, ein kosmisches Bewusstsein zu entwickeln. Wie wir sehen, hatte der Hanf in vergangenen Zeiten eine wichtige Stellung unter den Anhängern der spirituellen und religiösen Richtungen inne. Er galt (und gilt) als Meditation und Yoga unterstützende Droge, als Erkenntniswerkzeug, als Schlüssel zu inneren Welten, als religiöses Sakrament und mehr. Markus Berger

S
Soft Secrets