über die kunst des highs
Sebastián Marincolo hat sich als Bewusstseinsforscher auf das Cannabis-High spezialisiert. Mit "Die Kunst des Highs" ist sein neues Buch erschienen, in welchem er ganz praktisch erklärt, wie man Risiken minimiert und zahlreiche positive Wirkungen während eines Cannabis-Highs herbei-führen kann.
SSDE: Wie bist du dazu gekommen, dich so eingehend mit dem CannabisHigh zu beschäftigen?
Das Cannabis-High habe ich erst mit Anfang Zwanzig kennengelernt und eigentlich sehr geschätzt, wenn auch nur sporadisch genutzt. Eines Abends passierte es auf einer StudentenSilvesterparty in Tübingen - da habe ich eine hochdosierte Schoko-Hasch-Praline gegessen. Nach etwa 90 Minuten ha-be ich dann kaum noch mein juckendes Ohr gefunden, als ich mich kratzen wollte. Ich war komplett ver-wirrt und musste auch ziemlich schlimme Ängste durchstehen. Das reichte mir für einige Zeit. Erst mit 29 Jahren habe ich dann mit einem amerikanischen Freund wieder Cannabis genutzt, der damals Toxikolo-gie studierte. Wir sprachen viel über die erstaunlich positiven Wirkungen des Highs und ich beschloss, fortan das Cannabis-High zu erforschen - auch deshalb, weil man damit das menschliche Bewusstsein selbst gut erforschen kann. Mir war bewusst, dass ich aufgrund bestehender Tabus damit meine aka-demische Karriere beenden würde.
In deinem Buch stellst du das Endocannabinoidsystems des menschlichen Körpers ausführlich vor...
Ja, denn jeder Mensch nutzt körpereigen produzierte Cannabinoide, die Teil unseres biochemischen Systems sind und eine Vielzahl lebenswichtiger Funktionen steuern. Es ist traurig, dass selbst die meis-ten Ärzte heute immer noch nichts über dieses fundamental wichtige System wissen. Auch das ist eine Folge des ca. hundertjährigen Cannabisverbots. Erst in den 90er Jahren entdeckten Wissenschaftler das endocannabinoide System im Menschen - ein System aus Endocannabinoiden und körpereigenen Rezeptoren, an welche sie sich binden. Dieses System ist in unserem Gehirn und Körper für eine ganze Reihe von mentalen und physiologischen Funktionen verantwortlich. Es ist wahrscheinlich unser wich-tigstes System zur Aufrechterhaltung der Homöostase - der Balancierung einer stabilen inneren Umge-bung trotz schwankender Bedingungen in der Außenwelt.
Die meisten Fachleute auf dem Gebiet gehen davon aus, dass das endocannabinoide System eines der wichtigsten gesundheitserhaltenden Syste-me im menschlichen Körper ist. Zu seinen vielen Funktionen gehört auch die Steuerung der Aufmerk-samkeit, des Lernens, der Stressreaktion, der Schmerzwahrnehmung, des Gedächtnisses, des Schlaf-Wach-Zyklus, der Regulierung von Stimmungen, Emotionen und vieler anderer wichtiger physiologischer und kognitiver Prozesse.
Du schreibst, dass wir Menschen Pflanzen im Allgemeinen unterschätzen. Wie meinst du das?
flanzen produzieren unzählige chemische Substanzen, um interne Prozesse zu steuern und intelligent mit ihrer Umwelt zu interagieren. So schützen sie sich zum Beispiel vor UV-Licht, Austrocknung, Pilzen, Bakterien und Viren. Sie machen sich für Angreifer ungenießbar oder giftig, verringern deren Fruchtbar-keit oder verführen sie, damit sie ihre Blüten bestäuben oder ihre Samen fressen und verbreiten. Seit Millionen von Jahren koexistieren Pflanzen und Tiere, dadurch haben Pflanzen unglaubliche Fähigkei-ten entwickelt, das Nervensystem von Tieren biochemisch zu beeinflussen, um deren Denken, Stim-mung, Wahrnehmung und Verhalten zu ihren Gunsten zu verändern.
Du stellst die These auf, dass wir Menschen den Konsum von psychoaktiven Pflanzen im Laufe unserer Evolution von den Tieren gelernt haben.
Diese These stammt nicht von mir, sie basiert auf der faszinierenden und extremen wichtigen Arbeit des Psychopharmakologen Ronald K. Siegel aus den 70er und 80er Jahren. Sie ist eine Schlussfolgerung seiner langjährigen Forschung zum Verhalten vieler Tierarten und deren Konsum psychoaktiver Substanzen. Siegel sagt, dass der Gebrauch psychoaktiver Substanzen im Tierreich so verbreitet ist, dass wir ihn neben Essen, Trinken und Sex als "vierten Trieb" ansehen können. Er ist der Meinung, dass der Mensch schon vor langer Zeit den Gebrauch vieler psychoaktiver Pflanzen bei verschiedenen Tierarten beobachtet und imitiert hat. Das wirft ein ganz neues Licht auf die Debatte um Cannabis und andere psychoaktive Substanzen wie Alkohol, Kokain oder Psilocybin.
Du schreibst, dass Cannabis und andere psychoaktive Substanzen schon lange zur Menschheits-geschichte gehören und entscheidend zu unserer kulturellen Entwicklung beigetragen haben...
a, wir wissen von Ausgrabungen, dass menschliche Kulturen Cannabis schon seit mindestens 12.000 Jahren verwenden. Allerdings glaube ich, dass der Gebrauch noch viel weiter in der Geschichte zurück-geht. Menschen haben Cannabis als großartigen Lieferanten für essentiell wichtige Fettsäuren genutzt und daraus Öl hergestellt, sehr stabile Seile und haltbare Kleidung. Sie haben es aber auch medizinisch für die Behandlung eines unglaublichen Spektrums von Krankheiten und Beschwerden genutzt. Aber auch inspirativ auf vielfältige Weise. Wir können heute schon in weiten Teilen nachvollziehen, wann und entlang welcher geographischer Routen sich Cannabis aus dem asiatischen Raum heraus verbreitet hat. Der weltweite Siegeszug dieser Pflanze hat damit zu tun, dass Menschen Cannabis für verschiedene Zwecke gezüchtet haben und es eine dementsprechend große Palette verschiedener Sorten gibt. Can-nabis hatte einen großen Einfluss auf viele Kulturen, und Menschen hatten als Züchter mit verschiede-nen Bedürfnissen und Ansprüchen auch einen großen Einfluss auf die Pflanze.
Kommen wir zum Hauptthema deines neuen Buchs - der Wirkung von Cannabis auf den menschli-chen Geist. Was hast du zu diesem Thema herausgefunden?
Unter bestimmten Bedingungen kann das Cannabis-High vorübergehend zu einem ganzen Bouquet von positiv nutzbaren Bewusstseinsveränderungen führen. Mein leider kürzlich verstorbener Freund, der Harvard Associate Professor für Psychiatrie Lester Grinspoon, sprach hier von "enhancements" - ich benutze dafür im Deutschen den Begriff "Bereicherungen des Bewusstseins". Denn viele Nutzer berich-ten, dass sie sich während eines Highs besser konzentrieren können, dass sich ihre Vorstellungskraft verbessert und dass ihre Wahrnehmung intensiviert und oft detaillierter und genauer ist. Sie erzählen von einer besseren inneren Wahrnehmung ihres Körpers und davon, dass sie sich wieder an längst vergessene Episoden in ihrem Leben erinnern können. Sie nehmen neue Muster wahr, haben eine bessere Introspektion und damit Einblicke in die eigene Psyche, sie können sich besser in die Gefühls-welt anderer Menschen hineinversetzen und haben spontane, tiefe Einsichten und Aha-Erlebnisse.
Also sind Cannabis & Co gar nicht das eigentliche Problem, sondern der individuelle und gesell-schaftliche Umgang damit?
Absolut. Wir kämpfen immer noch mit den Auswirkungen einer einflussreichen, weltweit wirksamen Desinformationskampagne, die mit der Prohibition einherging. Auch die meisten liberal eingestellten Can-nabisnutzer wissen oft wenig über das facettenreiche bewusstseinsverändernde Potenzial von psycho-aktiven Substanzen wie Cannabis. Lange Zeit hatten sie weder Zugang zu guten Cannabisprodukten noch zu Informationen über einen sinnvollen Gebrauch. Eine der traurigen Folgen der Prohibition ist, dass wir kulturell viel über den positiven historischen Gebrauch von Cannabis und anderen psychoakti-ven Substanzen vergessen haben.
Du kritisierst in deinem Buch, dass viele Konsumenten von Cannabis oft nur nach einer Art des Highs suchen, die du als "Dazed & Confused" bezeichnest. Was genau meinst du damit?
Das Verbot von Cannabis hat zu einem dynamischen System geführt, in dem überwiegend schlecht informierte Verbraucher nur Zugang zu einer schlechten Qualität bestimmter Cannabissorten haben, die tendenziell eher eine müde machende - wenn dabei auch euphorische - Wirkung erzeugen. Während eines solchen Highs neigt man zum Beispiel dazu, etwas desorientiert zu sein und mitten im Gespräch den Faden zu verlieren. Da die Konsumenten oft nichts anderes kennen, ist das inzwischen genau das, wonach sie beim Gebrauch von Cannabis suchen. Sie suchen also ganz aktiv vor allem nach der sedierenden und verwirrende Wirkung von Cannabis, um sich geistig zu entspannen und ihren Problemen zu entfliehen. Es ist eine Art Eskapismus - also eine Flucht vor den Problemen des Lebens.
Aber an körperlicher und geistiger Entspannung ist ja bei Alltagsstress nichts auszusetzen…
Dem stimme ich zu. Aber viele Menschen sind ja nicht nur dem Alltagsstress ausgesetzt, sondern haben auch Stress aufgrund von Traumata aus der Kindheit oder durch ganz andere, wenig alltägliche Prob-leme wie dem Tod eines nahen Verwandten. Ein auf Stressreduktion zielender Gebrauch kann durchaus über einen gewissen Zeitraum dabei helfen, krankmachenden Stress abzubauen, die Stimmung zu ver-bessern oder einzuschlafen. Aber diese Art von Gebrauch von Cannabis kann auch zu einer Flucht vor den Problemen der Realität führen, die oft eher zu einer Stagnation im Leben des Konsumenten führt, als zu einer persönlichen und positiven Entwicklung. Die Prohibitionspolitik, die leider in den meisten Ländern der Welt immer noch besteht, fügt den Problemen, vor denen viele fliehen wollen, einen weite-ren enormen Stressfaktor hinzu - und treibt so viele Menschen noch mehr dazu an, Cannabis und ande-re Drogen für ihren Eskapismus zu missbrauchen. Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir endlich ausbrechen müssen.
Du bist ein Befürworter der klaren, geistig-anregenden Wirkung des Cannabis-Highs. Wie kann man als Konsument das von dir beschriebene High bewusst herbeiführen?
Es gibt Vieles, was man tun kann, um die Wirkung von Cannabis zu beeinflussen. Ich möchte meine Leser vor allem dazu ermächtigen, ihren eigenen Weg zu gehen und sich weder von den Mythen der Prohibition, noch von den Märchen vieler Cannabis-Marketingspezialisten täuschen zu lassen. Wer denkt, dass man alleine dadurch ein klares, euphorisches High ohne "Couchlock" haben kann, indem man sich eine angebliche 90prozentige Sativa aussucht, ist leider auf dem Holzweg. Man kann sich nicht alleine auf die Sortenangaben der Züchter verlassen, auch wenn die Sorte natürlich ein wichtiger Faktor ist. Was ich für absolut essenziell halte, um von einem High zu profitieren, ist das persönliche Experimentieren. Dies ist deshalb wichtig, weil wir uns alle bis zu einem gewissen Grad in unserer Bio-chemie und unseren Reaktionen auf psychoaktive Substanzen unterscheiden.
Einige von uns brauchen zum Beispiel eine stimulierende Wirkung, um kreativer zu sein, andere müssen sich vielleicht eher beru-higen, um in den Fluss eines kreativen Prozesses zu kommen. Und um zu wissen, wie wir mit Cannabis experimentieren, sollten wir etwas über die vielen anderen Faktoren verstehen, die das High beeinflussen. Wichtig ist neben der genannten Sortenwahl natürlich die Dosierung, der Zustand des Pflanzenma-terials, die Art der Einnahme und auch die Temperatur bei der Erhitzung. Zum einen sind da unsere Überzeugungen, unsere Stimmung, Einstellung und Absichten - das sogenannte "mindset" bzw. vereinfacht "set" genannt. Darüberhinaus spielen auch die Umgebung und der Einfluss anderer Anwesenden eine Rolle - das ist das "setting". Wenn wir das Potenzial eines Cannabis-Highs nutzen wollen, müssen wir uns dieser Faktoren bewusst sein und sie positiv beeinflussen. Das kann entscheidend dafür sein, ob wir während eines Highs außergewöhnliche oder gar lebensverändernde Ideen haben oder nur pas-siv auf der Couch herumliegen.
Die Stigmatisierung von Cannabis als nutzlose und gefährliche Droge wird zunehmend schwächer. Erwartest du viel Kritik von konservativer Seite?
ch glaube, "Die Kunst des Highs" ist tatsächlich noch etwas provokanter als meine vorangegangenen Bücher, da es ja eine Anleitung ist. Auch wenn ich darin recht deutlich über Risiken spreche und explizit anmerke, dass ich mit dem Buch niemanden von einem CannabisGebrauch überzeugen will, der Hanf nicht sowieso schon nutzen will. Schwieriger wird sein, mit der neuen Medienzensur umzugehen. Vor zehn Jahren durfte man für ein Buch über Cannabis überhaupt keine Werbung machen, allein schon wegen der Schlagworte "Cannabis" oder "Marihuana". Jetzt ist die Unterdrückung von Kommunikation über psychoaktive Substanzen subtiler geworden und in Suchmaschinen komplexer verankert. YouTu-ber werden zensiert oder deren Beiträge über ihre Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen gelöscht. Ich bitte deshalb meine Leser, mein Buch an Freunde weiterzuempfehlen, wenn es ihnen gefällt. Denn ich glaube, dass es dazu beitragen kann, einen möglichen Cannabis-Missbrauch zu vermeiden und das volle bewusstseinsverändernde Potenzial dieser Pflanze zu nutzen.