Medizinisches Cannabis: ein ungewöhnlicher Präzedenzfall

06 Oct 2020

Präzedenzfall vor dem Sozialgericht: Gegen Ende Oktober 2019 und nach annähernd drei Jahren bürokratischen Parforceritts, konnte der Soft-Secrets-Autor, Schriftsteller, Drogenforscher und Lucys-Chefredakteur Markus Berger vor dem Sozialgericht Kassel erstreiten, dass seine Krankenversicherung die Kosten für medizinisches Cannabis aus der Apotheke tragen muss (Az.: S 5 KR 503/17). Diese hatte die Kostenübernahme zuvor verweigert.

Der drogenpolitische Aktivist und Psychoaktivaforscher Markus Berger leidet seit früher Kindheit unter einem ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), kombiniert mit einer schweren Herzerkrankung (Kardiomyopathie nach Herzmuskelentzündung), die den Autor und Co-Verleger des Schweizer Nachtschatten Verlags 2008 nach einer verschleppten Grippe ereilte und fast zum Tod geführt hätte.

ADHS-Medikation nicht hilfreich

Da die übliche ADHS-Medikation (vorzugsweise Sympathikomimetika wie Medikinet und Dexamphetamin bzw. Antidepressiva) sich mit der kardialen Vorgeschichte Bergers nicht verträgt, konnte er die Kostenübernahme seiner Kasse für medizinische Cannabisblüten vor dem Sozialgericht mit einem Vergleich durchsetzen. Nach fast drei Jahre währendem Kampf - und im Alleingang und ohne anwaltliche Unterstützung.

Dieses Urteil ist ein Meilenstein für alle deutschen ADHS-Patienten, denen Cannabismedizin wegen der schwammigen und nicht näher spezifizierten Gesetzeslage bislang vorenthalten wird.

Trotzdem ein Präzedenzfall

Zwar betonte das Gericht, dass der Kläger ohne seine vorangegangene Herzerkrankung erfolglos geblieben wäre und dass daher kein Präzedenzfall vorliege. Der vom Gericht vorgeschlagene Vergleich, der weitgehend auf einem 65-seitigen fachpsychiatrischen Gutachten beruht, attestiert dennoch eine Wirksamkeit von Cannabis bei ADHS, was die Krankenkassen bzw. deren Medizinische Dienste (MDK) immer wieder anzweifeln, um die medizinischen Cannabisblüten aus der Apotheke nicht finanzieren zu müssen.

Somit kann der vorliegende Gerichtsentscheid durchaus als eher ungewöhnlicher Präzedenzfall gewertet und von anderen Patienten bei eigenen Gerichtsverfahren herangezogen werden. Zumindest versuchsweise.

Der Grund: Wäre Cannabis bei ADHS per se unwirksam, wie es die Krankenkassen gerne zu belegen versuchen, hätte Berger den Vergleich nicht erwirken können.

Hier geht es zu einem längeren Artikel, der das Thema erläutert und in diesem Jahr in der Printausgabe eurer Soft Secrets erschienen ist.