Sie lügen uns die Drogen schlecht!

28 May 2020

Vorbemerkung: Die fehlgeleitete Drogenpolitik betrifft nicht nur Cannabis. Deshalb wagen wir diesmal einen kleinen Seitenblick auf die "anderen Substanzen" und deren Opferrolle innerhalb der Rechtssprechung. Denn das Stigma, dass Cannabisfreunde vorverurteilt, gilt gleichermaßen für alle illegalisierten Drogen und deren Konsumenten.

Unsere Gesellschaft ist schon scheinheilig. Auf der einen Seite gehören Zerstreuung, Rausch, Spaß und Freizeitaktivitäten unabdingbar zum Menschen und sind sogar dessen Triebfeder. Auf der anderen Seite ist es Sache des guten Tons, dies zu unterdrücken und öffentlich zu verneinen. Und aus genau dieser Scheinheiligkeit konnte sich die weltweit etablierte Drogenlüge entwickeln.

Der Hedonismus, also Spaß bzw. Freude an der Existenz, hat einen großen Stellenwert im Leben des Menschen – auch wenn dies in der heutigen schnellen, technisierten und von Superlativen getriebenen Gesellschaft meist verneint wird. So ist zum Beispiel Freude an der Arbeit durchaus verpönt – sie soll keinen Spaß machen, sondern uns maximal fordern, denn wir sollen unser Geld am besten mühsam "verdienen".

Die Negation des Spaßes an der Freude ist allerdings lediglich der asketisch-zölibatären Pseudomotivation und -geschäftigkeit unserer kapitalistisch geprägten Leistungskultur geschuldet. In Wirklichkeit hat jeder gern Spaß. Er ist der Motivator aller Handlungen und Sehnsüchte. Wir aber verleugnen dies – und damit uns selbst, weil wir Angst davor haben, stigmatisiert oder belächelt zu werden. Das muss man sich mal vorstellen! Wir schämen uns zuzugeben, dass wir es lieben, Freude zu empfinden! Wie weit soll die Verrohung unserer Spezies eigentlich noch gehen?

Ist also der Drogenkonsum auf Parties und Festen, nur um der Freude, des Spaßes willen, etwas, für das man sich schämen, das man verheimlichen muss? Keinesfalls, denn Freude und Spaß sind so wichtig wie das tägliche Brot. Wir laden unsere Akkus auf, wenn wir uns berauschen. Wir genießen eine Art Mini-Ferien, wenn wir feiern und uns erlauben, für ein paar Stunden oder Tage ausgelassen zu sein. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Momente gibt, in denen wir tatsächlich auch ohne äußere pharmakologische Beeinflussung unserer Gehirne freudige Momente genießen können.

Im Rahmen der psychedelischen Renaissance, die zurzeit annähernd auf der ganzen Welt (wieder mal) aufblüht, wird der Spaßfaktor jedenfalls etwas sein, dem ungeheure Bedeutung beigemessen wird, weil die Menschen unter dem Einfluss von Cannabis, LSD, Pilzen, Meskalin, DMT und Co. gelernt haben, dass Hedonismus, Gesundheit und Lebenssinn eng miteinander verknüpft sind.

Kommen die Drogen zurück in den Mainstream?

Diese Frage erübrigt sich zur Gänze, denn unsere Gesellschaft ist ja längst auf Drogen – und war es immer. Denn eine Gesellschaft ohne psychoaktive Stoffe hat es nie gegeben und wird es auch niemals geben. Der Unterschied zum Normalfall ist, dass jetzt die politischen (und wirtschaftlichen) Herrscher entscheiden, welche Substanzen das Volk sich reinpfeifen soll und welche unter Strafe verboten sind zu beschaffen, zu besitzen und in manchem Land auch zu genießen (auf die Idee, solche Reglements für Nahrungsmittel zu erlassen, kam indes kaum ein Gesetzgeber). So ist es okay, sich jeden Tag mit Alkohol, Psychopharmaka und Tabak einzulullen, wohingegen die "verbotenen Drogen" stigmatisiert werden, als wäre dies der Vernunft geschuldet. Pustekuchen – es regiert in dieser Sache die reine Willkür!

Bei freier Drogenwahl würde sich im Großen und Ganzen an der Integrität der Menschen nichts weiter ändern. Beispiele, wie es früher war, gibt es in der Literatur zuhauf – schauen wir uns exemplarisch einige davon an. Nehmen wir zum Beispiel Kokain und Morphin in der vorprohibitionistischen Gesellschaft. Die Autoren Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben ein Buch zur psychedelischen Renaissance im Suhrkamp-Verlag herausgegeben, es heißt „Neues von der anderen Seite – Die Wiederentdeckung des Psychedelischen“. Die beiden Journalisten sind keine Drogenexperten. Aber sie verstehen ihr Handwerk und haben für die im Buch abgedruckten Texte gründlich recherchiert. Und herausgefunden, dass es „einmal einen anderen, weitaus vernünftigeren Umgang mit Drogen gegeben“ hat: „Morphin war Bestandteil vieler Hustensäfte und Stimmungsaufheller, die in Apotheken frei verkauft wurden, Kokain wurde in Softdrinks gemischt. Es gab sogar einen mit Koka versetzten Wein, den Vin Mariani, dem die Päpste Leo XIII. und Pius X. ebenso frönten wie die gestrenge Queen Victoria. Gleich den meisten ihrer Zeitgenossen konnten sie den Gebrauch von derartigen Medikamenten und Genussmitteln in unbedenklichem Rahmen halten, als unschuldige Bereicherung eines Lebensvollzugs, der sonst in keiner Weise vom Substanzgebrauch geprägt oder gar definiert war. Natürlich wurden auch damals schon manche Menschen von den Wässerchen, Sirups und Tränken abhängig, so wie von Alkohol bis heute. Die Ärzte behandelten sie jedoch als Kranke“ (Seite 14).

Gerade Deutschland war vor der Drogenprohibition eine Hochburg für Kokain- und Opiatliebhaber, die ungestraft ihren Konsumgewohnheiten nachgehen konnten – und gleichzeitig einem normalen Leben. Wir dürfen nicht vergessen, dass Drogen wie Kokain (1902 vom Chemiker Richard Martin Willstätter erstmals hergestellt) und Heroin (Diacetylmorphin, Produkt der Bayer AG) urdeutsche Produkte sind, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass in Deutschland früher auch viel konsumiert wurde. Übrigens hatte sich Deutschland aus diesem Grund auch etwa 15 Jahre lang erfolgreich davor gedrückt, die von der US-amerikanischen Drogenprohibition geforderten Gesetze in vollem Umfang anzuwenden.

Und auch in den USA und anderswo war es kein bisschen anders. Der britische Autor Johann Hari erklärt in seinem antiprohibitionistischen Buch „Drogen – Die Geschichte eines langen Krieges“, dass man vor der Zeit des War on Drugs „überall auf der Welt problemlos Drogen kaufen“ konnte: „Man ging in irgendeine amerikanische Drogerie und erwarb Mittel, die aus denselben Inhaltsstoffen wie Heroin und Kokain bestanden (…) und in Großbritannien boten die angesehensten Warenhäuser Heroindöschen für die Damen der feinen Gesellschaft an“ (Seite 17).

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel – trotz der anhaltenden Drogenprohibition – sich heutzutage drogenpolitisch in den Gesellschaften der Welt schon verändert hat, so kann da ein Funke Hoffnung bestehen. Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit der Wandel vollzieht. Auch wenn unsere Generationen dies wahrscheinlich nicht mehr erleben werden, so besteht doch die Möglichkeit, dass die Menschheit mittelfristig die scheinheiligen Drogenlügen der Politik entlarvt – und sich davon distanziert.