Die Wirkstoffmatrix des Hanfs

Soft Secrets
29 Jan 2018

Cannabis sativa ist eine biologische Chemiefabrik, in der es mehr als nur Cannabinoide gibt. Einst wurde der Hanf einfach dort genutzt, wo es Sinn machte, ohne alles genau zu verstehen. Dann legte der „War on Drugs“ bereits die These zugrunde, dass Marijuana keine medizinische Wirkung hat und eine extrem schädliche Droge sei. Das genaue Gegenteil trifft es eher, auch wenn Marijuana nicht unbedenklich ist. Es ist jedoch nicht so gefährlich, dass man es generell nicht konsumieren und noch normal leben könnte. Bei den meisten Marijuana-Konsumenten klappt das normale Leben doch immerhin sehr gut oder wenigstens so gut, wie auch bei anderen Bürgern.   Text: Robert B.

[caption id="attachment_5501" align="alignnone" width="300"] Cannabidiol ist nur eines von vielen Cannabinoiden[/caption]

Heute geht die Forschung rund um den Hanf zum Glück wieder in die Richtung, dass man das Ergebnis erst nach Abschluss des Forschungsprojekts kennt. Die Wissenschaft konzentriert sich überwiegend auf die Erforschung von THC und CBD, wobei diese nur zwei von vielen Cannabinoiden sind. Es ist schon fast unwahrscheinlich, dass wir zum derzeitigen Punkt überhaupt wissen, wie viele verschiedene Cannabinoide es in der Hanfpflanze gibt oder geben kann. Es müssen immerhin nicht alle Cannabinoide zugleich in jeder Sorte oder jedem Lebensabschnitt vorkommen.

Von diesen Cannabinoiden ist ein ganzer Teil medizinisch wirksam. Aber ist es nicht so einfach, dass jedes Cannabinoid für sich extrahiert und dann erforscht wird. Es wird deutlich komplexer. Von jedem Cannabinoid gibt es Vorstufen und auch Abbauprodukte, die wiederum für sich eine medizinische Wirkung haben können. Zugleich wirken die Cannabinoide in der Kombination anders oder ergänzen sich, wohingegen der Reinstoff nur einen sehr begrenzten Wirkungsbereich hat. Neben den Cannabinoiden sind es Terpene als Geruchsstoffe, die in der Kombination die Wirkung beeinflussen können. Viele Terpene weisen zudem eigene pharmakologische Effekte auf und verfügen über ein vielfältiges medizinisches Wirkspektrum.

An dieser Stelle ist die Erwähnung wichtig, dass nicht nur das THC die berauschende Wirkung auslöst, sondern auch andere Cannabinoide und Terpene psychoaktive Wirkungen herbeiführen, z.B. THCV (Tetrahydrocannabivarin) und viele andere. Andere Cannabinoide und Terpene sind wiederum psychisch nicht oder nur schwach wirksam, können aber auf die High-Wirkung anderer Substanzen Einfluss nehmen.

Sind es nicht zwei oder drei, sondern vermutlich über 20 oder 30 wirksame Cannabinoide in der Hanfpflanze, die in der Wirkstoffmatrix alle wenigstens eine beeinflussende Rolle spielen, dann gibt es für die Wirkung praktisch unendlich viele Möglichkeiten. Zugleich empfindet und reagiert jeder Mensch anders, damit gibt es nicht die universale Marijuanasorte.

Beim Genusskonsum geht es eher darum, ob man sich einen schönen Abend macht und mal das eine, das andere oder immer das gleiche raucht. Für die medizinische Anwendung ist es jedoch anders und hier zeigt sich besser, wie extrem groß die Unterschiede sind, die aus den Möglichkeiten der Wirkstoffmatrix hervorgehen. Dronabinol ist ein Fertigarzneimittel, welches ausschließlich THC enthält. Wenn Patienten hohe Dosen benötigen, ist dieser Reinstoff ungepuffert und kann sehr unangenehm empfunden werden. In Sativex sind jedoch THC und CBD enthalten. Unabhängig von der medizinischen Wirkung wird das THC durch dieses angenehmer und auch höhere Dosen werden besser vertragen. Zugleich wirkt CBD jedoch auf das Suchtverlangen beruhigend und kann einigen Betroffenen sogar bei einer Entwöhnung von Drogen und anderen Suchterscheinungen wie Spielsucht helfen. Es kann zugleich vorbeugend als Substituierung genommen werden, um einem Rückfall entgegenzuwirken.

Das sind also nur zwei Cannabinoide, die zusammen bereits ganz anders wirken und anders vertragen werden, wobei jeder noch für sich unterschiedlich reagieren kann. Aber genau deswegen erklären viele Patienten, dass sie keine Reinstoffe, sondern Marijuanablüten haben wollen. Sie wollen nicht eine Sorte mit viel THC, eine mit THC und CBD und eine mit viel CBD. Sie wollen nach Möglichkeit über 100 verschiedene Strains, die sich nach Schwerpunkten sortieren lassen. So gibt es für jeden Schwerpunkt 10 bis 30 Strains, durch die sich jeder in ein paar Monaten durchgetestet hat. Und die meisten werden mehrere Sorten aus dem jeweiligen Schwerpunkt finden, die besser als die anderen wirken. Es gibt natürlich auch diejenigen, für die das alles keinen Unterschied macht. Und dann gibt es auch diejenigen, die mit den Reinstoffen zufriedener wären. Diese haben durchaus ihre Existenzberechtigung.

Es geht gerade den Patienten darum, dass nicht ein bürokratisch und wirtschaftlich denkendes „Ärzte-, Apotheker- und Krankenkassengremium“ entscheidet. Extrem vielen Patienten geht es schlichtweg um die Selbstbestimmtheit. Es sind immerhin die Patienten, die die Medikamente nehmen und mit den Wirkungen samt aller Nebenwirkungen und Langzeitfolgen leben oder eben auch sterben müssen. Am Marijuana stirbt zum Glück niemand. Dennoch möchten die Patienten die Strains, Vollauszüge oder auch Reinstoffe verwenden, mit denen sie sich am wohlsten und gesündesten fühlen.

Es gibt Erkrankungen, bei denen der Patient sehr bewusst merkt, ob das Hanfmedikament ihm hilft oder nicht. Hier kann er sich also sehr gut selbst durchtesten. Es gibt aber auch Erkrankungen, bei denen der Patient das eben nicht so bewusst wahrnimmt. Hier kommt es wiederum auf die Forschung an. Und genau diese Forschung findet bereits statt. Es wird nicht mehr ein einzelner Reinstoff getestet, sondern der Vollauszug verschiedener Strains in Versuchsreihen. Es zeigt sich, dass der eine Strain bei der einen Erkrankung, der andere Strain bei der anderen besser wirkt. Deswegen gibt es zu vielen medizinisch genutzten Strains in den USA bereits Angaben, bei welchen Leiden diese besonders sinnvoll eingesetzt werden können.

Warum das alles so ist, lässt sich durchaus vermuten, aber gewiss nicht komplett aufschlüsseln. Es ist eine Wirkstoffmatrix aus möglicherweise über 50 Stoffen, die in der Kombination wirken. Zugleich ist jeder Patient bei gleichem Krankheitsbild etwas anders konstituiert. Wenn der Reinstoff für sich allein nicht oder ungenügend wirkt, wie soll jetzt geklärt werden, welche der vielen Wirkstoffe wirken und in welchem Verhältnis zueinander sie am besten ihre Wirkung entfalten? Es wird jedoch möglich sein, dass man die Wirkstoffmatrix einer Pflanze aufschlüsselt, um anstelle dieser für die gleiche Erkrankung eine andere als Ersatz nennen zu können.

[caption id="attachment_5502" align="alignnone" width="300"] Diese Blüte bietet eine ganze Wirkstoffmatrix[/caption]

Wenn zu jeder Marijuanasorte, die medizinisch genutzt wird, die Wirkstoffmatrix aufgeschlüsselt wird und in einem Land die Vorräte aufgebraucht wurden, kann man sehr leicht den passenden Ersatz finden. In einigen Ländern mit medizinischer Verwendung wird das bereits ansatzweise umgesetzt.

Dem Konsumenten geht es natürlich nur um die schönen Abende. Aber auch hier wäre es mehr als nur interessant, wenn man für ein nicht mehr erhältliches Marijuana auf diese Weise einfach die Sorten mit der ähnlichsten Wirkstoffmatrix auf Knopfdruck genannt bekommt. Natürlich gibt es beim Anbau immer auch Schwankungen. Dennoch kann in einem Anbauraum mit stabilen klimatischen Werten unter gleichen Anbaubedingungen ein Marijuana mit sehr stabilen Werten angebaut werden. Wer in der Apotheke Kamille, Salbei oder sonstige Kräuter ersteht, der fragt immerhin auch nicht nach, ob von den enthaltenen Wirkstoffen der eine oder andere vielleicht etwas knapper als bei der letzten Charge ausgefallen ist. Beim Genuss oder dem medizinischen Gebrauch dosieren die meisten sich doch von ganz alleine zu ihrem Wohlfühlpunkt.

Es soll hier allerdings noch umfangreicher ausgeführt werden, wie wenig wir zum jetzigen Zeitpunkt über die Wirkung vom Marijuana wirklich wissen, außer, dass es sehr gut und mit weniger schlimmen Nebenwirkungen als andere Genussmittel oder Medikamente wirkt. In einem Vortrag von Professor Dr. Martin Smollich mit sehr vielen Skizzierungen wurde das Endocannabinoid-System aufgeführt. Das Endocannabinoid-System befindet sich in jedem höheren Lebewesen, und jedes dieser höheren Lebewesen schüttet Cannabinoide aus. Ohne Cannabinoide würde es höhere Lebewesen auf der Erde gar nicht geben. Bislang wurden im Menschen die CB1- und CB2-Rezeptoren entdeckt, an denen verschiedene Cannabinoide andocken und dadurch eine Wirkung auslösen. In diesem Vortrag wurde also erklärt, dass es mindestens noch CB3- und möglicherweise auch CB4- und CB5-Rezeptoren geben könnte. Es sei jedoch so gut wie sicher, dass es im Endocannabinoidsystem nicht allein CB1- und CB2-Rezeptoren gibt. Es wurden bereits Wirkweisen entdeckt, die ansonsten nicht erklärbar seien.

Jedes Cannabinoid hat seine eigenen Möglichkeiten, um an einem Cannabinoid-Rezeptor anzudocken. Die einen docken z. B. bei CB1 und CB2 an, die anderen nur bei einem dieser Rezeptoren. Wenn es jetzt neben Dutzenden Cannabinoiden noch weitere Rezeptoren gibt und in der kombinierten Anwendung das eine Cannabinoid die Andockstellen belegt, dann kann das andere hier nicht mehr andocken. Und schon fällt die Wirkung potenziell wieder anders aus.

Es lässt sich also festhalten, dass wir in der Erforschung um das Wirkspektrum und die Pharmakologie unserer guten alten Hanfpflanze noch ganz am Anfang stehen. Weiterhin kann vorweggenommen werden, dass sich dieses Puzzle vorerst nicht komplett auflösen lässt. Es kann allerdings direkt hinterhergeschoben werden, dass man bei vielen anderen Heilpflanzen und auch bei synthetischen Medikamenten ebenfalls nicht exakt weiß, wie diese ihre Wirkung entfalten. Bei altbekannten Heilpflanzen wie dem Hanf wissen wir zumindest, dass unsere Erbanlagen nicht derart mutieren, dass wir in drei Generationen an Missbildungen aussterben werden. Können wir uns da bei den synthetischen Medikamenten auch so sicher sein?

Wir wissen also nicht so genau, wie und warum Hanf in so vielen unterschiedlichen Situationen medizinisch wirkt und werden es auch so schnell nicht im Detail aufschlüsseln können. Muss man immer alles so genau wissen, um es auch machen zu können? Wenn es sich um eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit handelt, dann wird das anscheinend vorausgesetzt. Ansonsten verhält sich die Risiko-Nutzen-Kalkulation maßgeblich anders, man sehe sich beispielsweise das vermutlich krebserregende Pflanzenschutzmittel Glyphosat an. Würde man dies aus Hanf gewinnen, wäre es gewiss niemals zugelassen oder schon längst wieder verboten worden.

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