Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz

Soft Secrets
03 Jul 2017
Mit der einstimmigen Verabschiedung des Cannabismedizin-Gesetzes im deutschen Bundestag galt die Ratifizierung im Bundesrat und durch den Bundespräsidenten nur noch als formaler Akt, der inzwischen bereits erfolgte. Selbst einige der Interessierten und Aktiven erklärten vorher öffentlich, das habe man nun geschafft und hier wäre alles getan. Es handelt sich dabei vermutlich um die „Frischlinge“ in den eingeschworenen Kreisen. Wer hier seit Jahren durch die Zeitungszeilen hindurchschaut, der weiß bereits, dass die Medaille immer zwei Seiten hat. Zum einen ist es natürlich ein immenser Schritt, der nun geschafft wurde, dass selbst Cannabisblüten durch den Hausarzt per BtM-Rezept verschrieben und in der Apotheke ausgegeben werden können. Es muss nicht mehr eine aufwändige Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG beantragt werden. Viele Patienten werden auch die Kosten für die Marijuanamedizin nicht mehr selber stemmen müssen. Dennoch ist die Versorgungslage für Cannabispatienten in Deutschland alles andere als ein erledigtes Thema. Bereits vor der Ratifizierung des Cannabismedizin-Gesetzes gab es einige kundige Stimmen, die erklärten, dass viele Patienten weiter im Notstand stehen würden. [caption id="attachment_4001" align="alignnone" width="500"]Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz Krank sein bedeutet oft, arm zu sein.[/caption] In der Realität vieler Patienten hat sich erst einmal nichts zum Positiven gewendet. Wer bereits mitwirkende Ärzte gefunden hat, der kann in den Apotheken für die gleiche Menge und Qualität mehr als zuvor bezahlen und hofft darauf, dass die Kassen die Kosten übernehmen. Diese scheinen bislang häufig zu blockieren. Jedoch kann die Kostenübernahme mit der richtigen Strategie auch rückwirkend gelingen, dazu später mehr. Für den ersten Moment ist die Unsicherheit bei vielen mittellosen Patienten erst einmal hoch, weil viele ihre Medizin eben nicht vorfinanzieren können. Wer noch keinen begleitenden Arzt gefunden hat, dem wird es wenig bringen, dass Mediziner in der Theorie ein BtM-Rezept ausstellen dürfen, die Apotheke das Rezept einlöst und die Krankenkasse es bezahlt. Gibt es keinen Arzt, dann gibt‛s auch kein BtM-Rezept. Ob die Krankenkasse zahlen würde oder nicht, wäre als Frage für diese Patienten also zuerst einmal noch nebensächlich. Es gibt durchaus Ärzte, die dem Cannabisthema sehr aufgeschlossen gegenüberstehen und es begrüßen, wenn die kalten Verbotskrieger endlich auftauen müssen. Ein Teil dieser Mediziner ist sich jedoch unsicher und möchte mit der Verschreibung lieber noch warten. Der andere Teil der Mediziner befürchtet, dass es sich herumspricht, das komplette Wartezimmer nur noch von Cannabispatienten belagert wird und man als „Rauschgiftarzt‟ für immer in der Schmuddelecke steht. Viele Ärzte helfen ihren Patienten deswegen bislang nur, wenn diese die Therapie für sich behalten. [caption id="attachment_4002" align="alignnone" width="500"]Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz Patient mit Schengendokument kifft legal.[/caption] Es war im September, als einige Worte mit Dr. Franjo Grotenhermen auf dem Sommerfest des Vereins Hammf e.V. gewechselt werden konnten. Dieser Cannabis-Fachmediziner erklärte, dass das Cannabismedizin-Gesetz ein riesengroßer Fortschritt ist. Es werde jedoch, ähnlich wie in Israel, Jahre dauern, bis die Mediziner sich die nötige Kompetenz aufgebaut haben und sich auch trauen, Cannabisblüten zu verschreiben. Genauso werde es Jahre dauern, bis sich unter den Patienten herumgesprochen hat, bei welchen Erkrankungen Marijuanablüten helfen können und diese sich auch mit diesem Wunsch an den Arzt wenden. Selbst, wenn es ab 2017 möglich ist und rund eine Million Menschen allein in Deutschland durch die Cannabismedizin maßgeblich profitieren könnten, wird es Jahre dauern, bis es die über 100.000 Patienten auch verschrieben bekommen. Ab einem Punkt der kritischen Masse würde es sehr schnell gehen. So zumindest war Dr. Grotenhermen zu verstehen, und genau dieses Bild zeichnet sich derzeit in Israel ab, das in Sachen Cannabismedizin ganz vorne mit dabei ist und dem wichtige internationale Erkenntnisse und Startschüsse zu verdanken sind. Eines ist bereits klar: Die Krankenkassen werden für chronisch schwerkranke Menschen, denen ohne Marijuana nicht genügend geholfen werden kann, die Kosten übernehmen. Aber ab wann ist man als Patient chronisch schwerkrank, und wie wird es festgelegt, dass nur noch Marijuanamedizin eine merkliche oder sogar genügende Linderung der Leiden verschafft? Aus vielen Richtungen ist bereits zu hören, dass dieses Cannabismedizin-Gesetz einfach schwammig formuliert wurde und viel Ermessensspielraum lässt. Das bedeutet, dass viele Patienten vermutlich erst einmal den Rechtsweg einschlagen müssen, der Zeit, Kraft und mit Pech auch viel Geld kostet. Wer bereits im Sterbebett liegt, hat diese Zeit und Kraft eben nicht. Wenn es jedoch darauf hinausläuft, dass die Krankenkassen blockieren, dann kommt es genau wie in der Vergangenheit auf die klagenden Patienten an. Die ersten erklärten bereits vor der Ratifizierung des Cannabismedizin-Gesetzes, dass sie weiterhin im Notstand bleiben und deswegen auch weiterhin auf Eigenanbau klagen werden. [caption id="attachment_4003" align="alignnone" width="500"]Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz Vaporisieren ist gesünder als rauchen.[/caption] Was aber soll der „normale“ Patient tun, wenn er sich mit Cannabismedizin aus der Apotheke behandeln möchte? Wer die Zeit, Kraft und möglichst auch etwas Geld hat, der sollte nicht mehr abwarten, sondern wirklich bei den Ärzten Klinken putzen. Wer sein BtM-Rezept hat, der soll es in der Apotheke einlösen. Wenn die Krankenkasse nicht zahlen will, dann sollte auch vor dem Rechtsweg nicht zurückgeschreckt werden. Wenn genug Patienten für ihre Rechte kämpfen, werden entsprechende Gerichtsurteile folgen, mit denen der Gesetzgeber, die Ärzte und die Krankenkassen nachbessern müssen. Das kann im schlimmsten Fall wiederum Jahre dauern. Hätten nicht bereits andere Patienten das alles auf sich genommen, gäbe es in Deutschland noch nicht einmal cannabinoidhaltige Fertigarzneien aus der Apotheke. Aber auch hier mussten fast alle Patienten die Kosten selber tragen. Wer jedoch in stationärer Unterbringung ist, der zahlt generell nicht für die Medikamente, die er dort durch die Mediziner und Pfleger erhält. Noch einige Grundlagen zur Kassenmedizin: Jeder Hausarzt hat ein Budget. Er kann im laufenden Jahr nur so viele Medikamente verschreiben, wie er durch dieses Budget finanzieren kann. Medikamente bei schweren chronischen Leiden gehen nicht über dieses Budget. Wenn der Mediziner jedoch die ganze Zeit in einer Grauzone Medikamente verschreibt und die Krankenkasse erst zahlt und dann dagegen vorgeht, dann haftet der Arzt im schlimmsten Fall mit seinem Privatvermögen rückwirkend. Das bedeutet, dass bei der jetzigen Unsicherheit viele Ärzte kein Risiko eingehen wollen und damit auch kein Marijuana auf BtM-Rezept verschreiben. Hier gibt es jedoch einen Trick, mit dem der Patient dennoch seine Kassenerstattung erlangen kann. Er lässt sich vom Mediziner sein BtM-Rezept als Privatrezept ausstellen. Mit diesem muss er in der Apotheke zuerst einmal vorfinanzieren. Wenn der Arzt jedoch die passenden Dokumente, Gutachten und Befunde erstellt, dann kann der Patient die Kosten für sein Privatrezept auch selber bei der gesetzlichen Krankenkasse geltend machen. Diese wird vielleicht zuerst blockieren, worauf mit außergerichtlichen und dann gerichtlichen Schritten gekontert werden kann. [caption id="attachment_4004" align="alignnone" width="500"]Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz Die Dosis macht das Gift.[/caption] Neben der Frage, wie man denn jetzt an einen begleitenden Arzt und an eine zahlende Krankenkasse gelangt, gibt es weitere Fragen. Was mache ich als Patient, wenn ich von Berufs wegen reisen muss oder mal für einige Wochen in den Urlaub fliege? Hier gibt es den Schengenraum. Dieser besteht aus vielen Ländern, die sich unter anderem dazu verpflichten, die Gesetze der Heimatländer der Reisenden für diese anzuerkennen. Wer in Deutschland Marijuana besitzen und verwenden darf, kann sich den Vordruck ausdrucken, vom Arzt ausfüllen und bei der zuständigen Behörde für maximal 30 Tage bestätigen lassen. Wer jetzt z.B. nach Frankreich reist und in einer Kontrolle mit seinem Marijuana erwischt wird, der zeigt das Dokument und sollte vor weiteren Repressalien geschützt sein. Das Dokument muss natürlich vor der Reise ausgestellt werden. Der Schengenraum umfasst derzeit 26 europäische Länder, die nicht alle der EU oder dem Euroraum angehören. Wer Ziele außerhalb von diesen Ländern bereisen möchte, sollte sein Marijuana in den meisten Fällen noch daheim lassen. Eine weitere Frage gilt dem Führerschein. Es gibt einige Erkrankungen wie Epilepsie und starken Tourette und solche, bei denen Medikamente wie schwere Schmerzmittel eingenommen werden müssen, die wiederum das Führen eines Kraftfahrzeugs direkt ausschließen. Wird diese Information der Führerscheinbehörde bekannt, ist die Fahrerlaubnis also direkt weg. Die Mediziner unterliegen jedoch der Schweigepflicht und dürften diese Erkrankungen oder die verschriebenen Medikamente auch den Behörden nicht mitteilen. Bei Marijuana ist der Fall jedoch anders gelagert, da gerade hier die Verkehrskontrollen der Polizei greifen. Marijuana und Haschisch werden durch den Geruch schnell wahrgenommen. Viele Cannabispatienten fallen auch in das sogenannte „Raster“ der üblichen Verdächtigen. Es kann aber auch kein unauffällig wirkender Patient ausschließen, dass er irgendwann in eine Verkehrskontrolle oder eine andere Kontrolle gerät und dort ein Drogentest gemacht wird. Jetzt kann man sein Rezept vorlegen und erklären, dass man Cannabis als Medikament verwenden darf. Die Beamten werden das trotzdem der Führerscheinstelle melden. Dennoch dürfen sehr viele Cannabispatienten ihren Führerschein behalten, wenn sie sich möglichst schon vor einer Kontrolle um alles Nötige bemühen. Der Mediziner muss dem Patienten bestätigen, dass dieser seine Cannabismedizin zuverlässig nach Anweisung einnimmt und es dadurch nicht zu „Rauschfahrten“ kommt. Es kann notwendig sein, dass der Patient einige Reaktionstests über sich ergehen lassen muss, mit denen er beweist, dass er bei sachgemäßer Anwendung der Cannabismedizin immer noch schnell genug reagiert. Wer also durch seinen Arzt Cannabismedizin erhält, der sollte diesen direkt auf seine Fahreignung ansprechen und im Zweifel erbeten, solche Reaktionstests machen zu dürfen. Wer neben seinem BtM-Rezept ein Dokument über seine Fahrtauglichkeit in der Verkehrskontrolle vorweisen kann, der kann meist weiterfahren. Patienten, die nur tagsüber fahren und erst am Abend kiffen, gibt es bereits. Es gibt aber z.B. ADHS- und Tourette-Patienten, die kiffen und dann fahren dürfen, da das Kiffen bei ihnen die Fahrtauglichkeit erst herstellt. [caption id="attachment_4005" align="alignnone" width="500"]Top oder Flop: Das neue Cannabismedizin-Gesetz Drogenkrieg hoffentlich bald nur noch Papierkrieg.[/caption] Die Entwicklung in der Cannabis-Medizinfrage geht jetzt in die richtige Richtung, womit sich in absehbarer Zeit hoffentlich alles für bedürftige Cannabispatienten maßgeblich bessern wird. Text: Robert B.
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