Hanf als Medizin

Soft Secrets
30 Jul 2012

Es gibt viele Mediziner, die zwar alle schon mal davon gehört haben, dass Cannabis einen therapeutischen Nutzen haben kann, die jedoch selbst nie soweit gehen würden, ihren Patienten tatsächlich Cannabispräparate zu verschreiben. Geschweige denn, die natürliche Alternative aus der weiblichen Hanfblüte, die inzwischen (allerdings nur in Ausnahmefällen) auch in Deutschland ganz legal aus der Apotheke bezogen werden kann.


Es gibt viele Mediziner, die zwar alle schon mal davon gehört haben, dass Cannabis einen therapeutischen Nutzen haben kann, die jedoch selbst nie soweit gehen würden, ihren Patienten tatsächlich Cannabispräparate zu verschreiben. Geschweige denn, die natürliche Alternative aus der weiblichen Hanfblüte, die inzwischen (allerdings nur in Ausnahmefällen) auch in Deutschland ganz legal aus der Apotheke bezogen werden kann.

Es gibt viele Mediziner, die zwar alle schon mal davon gehört haben, dass Cannabis einen therapeutischen Nutzen haben kann, die jedoch selbst nie soweit gehen würden, ihren Patienten tatsächlich Cannabispräparate zu verschreiben. Geschweige denn, die natürliche Alternative aus der weiblichen Hanfblüte, die inzwischen (allerdings nur in Ausnahmefällen) auch in Deutschland ganz legal aus der Apotheke bezogen werden kann. 

Prof. Dr. Christoph Stein – Direktor und Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Berliner Charité – ist Cannabis gegenüber eher skeptisch eingestellt:  

Fänden sie es angebracht, Cannabis auch in Deutschland als Heilpflanze anzuerkennen?

Ich finde, die wissenschaftliche Literatur ist da noch nicht sehr ergiebig. Es gibt sicherlich viele Untersuchungen und Veröffentlichungen, aber da gibt es teilweise große Widersprüche. Wenn man sich allein auf die Literatur, die es über Versuche am Menschen gibt, beschränkt und die vielen Tierversuche oder Laboruntersuchungen außer acht lässt und nur gute, kontrollierte Studien am Menschen betrachtet, dann gibt es da meiner Ansicht nach noch zu wenig Studien, die wirklich einwandfrei nachweisen würden, dass Cannabis in bestimmten Situationen eine eindeutige medizinische Wirkung hat. 

Wie definieren sie eine „eindeutige medizinische Wirkung“? 

Sie müssen sich bei der Forschung auf einen bestimmten Effekt konzentrieren – nehmen wir mal an, sie interessieren sich für eine schmerzstillende Wirkung, dann müssen sie eine größere Population von Patienten untersuchen, die eine bestimmte Art von Schmerzen hat. Schon hier gibt es viele unterschiedliche Arten von Schmerzen, denn es ist ja nicht jeder Schmerz gleich. Daher muss man zunächst mal eine ausreichend große, möglichst homogene Population finden und kann dann eine kontrollierte Studie machen, bei der die Substanz am besten im Vergleich zu einem Placebo oder einer anderen Standartsubstanz auf ihre Wirkung untersucht wird. Danach muss eine statistisch einwandfreie Auswertung erfolgen – und bei all dem muss man sich auf einen einzigen Effekt konzentrieren. Es ist eine ganz klare Fragestellung nötig - etwa, ob bei einem bestimmten Schmerzsyndrom eine Linderung durch dieses oder jenes Mittel erfolgt. 

Bei Multipler Sklerose soll Cannabis ja in Hinsicht auf Krampf- und Muskellockerung helfen... 

Gerade bei Multipler Sklerose gibt es ja überhaupt keine großen Studien dazu, das sind alles mehr oder weniger anekdotische Berichte, die es da gibt – aber keine großen, kontrollierten Studien. 

Wie ist denn ihre persönliche Meinung zu Cannabis als Medizin? 

Meiner Meinung nach kann man so was im Einzelfall schon mal in Erwägung ziehen. Ich kenne Patienten – beispielsweise Tumor-Schmerzpatienten – denen man sagen könnte, dass in ihrem speziellen Fall Cannabispräparate nützlich sein könnten. Da fände ich es nicht verkehrt, wenn die Patienten die Möglichkeit hätten, diese Präparate einmal auszuprobieren. Aber ich würde den Patienten nicht generell sagen, dass bei einer bestimmten Art von Schmerz dieses oder jenes Cannabispräparat verlässlich hilft. Derartiges würde ich immer auf eine Einzelfallentscheidung beschränken. 

Wenn sie von Cannabispräparaten sprechen, dann meinen sie damit synthetisch hergestellte Medikamente wie Dronabinol? 

Ja, das ist richtig. 

Glauben sie, dass die Pharmaindustrie möglicherweise ganz bewusst die Heilpflanze Hanf ausbremst, da sich eine natürliche Pflanze nicht patentrechtlich schützen lässt und die Industrie lieber ihre teureren Synthetik-Varianten verkaufen will? 

Also, das kann durchaus sein. Es ist zumindest denkbar, denn es gibt ja viele Substanzen, die ihren Patentschutz schon lange verloren haben und die deswegen auch von der Industrie nicht weiter erforscht werden. Das ist eine durchaus übliche Praxis, denn die Industrie investiert natürlich bevorzugt in Substanzen, die patentierbar sind und die man dann – wenn man so ein Patent hat – auch für mehr Geld verkaufen kann. Man spricht hierbei von einem ‚höheren Marktwert’. Das trifft aber nicht nur auf Cannabis, sondern auch auf viele andere Substanzen zu, die an sich wirksam und interessant sind, die aber von der Industrie nicht weiter beachtet werden. 

Warum sollte die Pharmaindustrie auch Studien finanzieren, die das natürliche Potential von Cannabis erforschen? Müsste man nicht eher vermuten, dass die Studien, die Cannabis den medizinischen Nutzen absprechen, von der Pharmaindustrie finanziert werden? 

Diese Vermutung beinhaltet zu viele unbewiesene Annahmen und Spekulationen. Es gibt vielleicht so um die zwanzig Studien in der wissenschaftlichen Literatur, die sich teilweise widersprechen. Nichtsdestoweniger handelt es sich jedoch um konkrete Ergebnisse aus Versuchsreihen - beispielsweise findet die eine Studie bei einer Gruppe mit Rückenschmerzen einen positiven, die andere Gruppe einen negativen Effekt. Wenn man sich die Gesamtzahl der Studien ansieht, dann ist ungefähr die eine Hälfte positiv und die andere negativ. Da die Ergebnislage so uneinheitlich ist, kann man aus dieser Gesamtschau keine eindeutige Schlussfolgerung in Hinsicht auf die Wirksamkeit von Cannabis ziehen. 

Soweit unser Gespräch mit Prof. Dr. Stein, der Cannabis in seiner natürlichen Form als Medizin komplett ablehnt und synthetische Cannabispräparate nur in Einzelfällen für sinnvoll hält. Dagegen stellen wir nun die Aussagen der in Frankfurt am Main praktizierenden Ärztin Frau Dr. Mieke, die sich (auch schon öffentlich) für eine weitere Erforschung des medizinischen Potentials der natürlich gewachsenen Hanfpflanze einsetzt. 

Ist Cannabis ihrer Meinung nach eine echte Heilpflanze? Kann sie tatsächlich heilen oder „nur“ Schmerzen und Symptome lindern? 

Im Grunde genommen ist Cannabis ein ganz traditionelles Heilmittel, was seit Jahrtausenden verwendet wird. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde Cannabis bei verschiedensten Beschwerden – von Asthma und Migräne bis hin zur Linderung von Krämpfen und Schmerzen – eingesetzt. Das Problem war dabei immer, dass die Zuverlässigkeit aufgrund der unklaren Wirkkomponenten – vor allem der stark schwankenden Konzentration und Bioverfügbarkeit wegen – stark eingeschränkt war. Trotzdem gab es damals schon natürliche Cannabis-Tinkturen oder -Extrakte die von Firmen wie Merck oder Lilly auf den Markt gebracht wurden. Man sagt ja, dass selbst Queen Victoria gegen ihre starken Menstruationsbeschwerden erfolgreich Cannabis einnahm - von daher ist es ein altbekanntes medizinisches Mittel. Zu der Frage, wann etwas heilt und wann es Symptome lindert, muss man sich zunächst einmal ganz grundsätzlich überlegen, welche Krankheiten denn überhaupt heilbar sind. Bei der ganzen Palette der chronischen Erkrankungen, die wir hier in Deutschland haben – sei es Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen – kann man ja tatsächlich nicht behaupten, dass es hier zu einer völligen Heilung käme. Natürlich kann ich bei einer bakteriellen Infektion den Körper heilen, indem ich Antibiotika verabreiche – in vielen andern Bereichen der Medizin ist eine völlige Heilung aber gar nicht möglich, hier ist die Linderung der Schmerzen und Symptome die einzige Möglichkeit, dem Patienten zu helfen. Das Problem in der Schmerztherapie ist ja häufig, dass die schmerzlindernde Wirkung stark eingeschränkt ist, weil damit auch entsprechende Nebenwirkungen entstehen – z. B. Übelkeit oder Verstopfung nach der Einnahme von Opiaten. Die Verabreichung von Cannabinoiden kann dagegen die Lebensqualität der Patienten enorm steigern, weil es eben nicht nur ein reines Schmerzmittel ist. Gerade in der Palliativmedizin ist es ja oft so, dass die Patienten durch Cannabinoide gleich mehrfach profitieren: Zum einen lindert es Übelkeit und Erbrechen, zum anderen regt es den Appetit an und wirkt teilweise antidepressiv. In Kombination mit Opiaten tritt ein zusätzlicher Synergieeffekt auf, der es er glaubt, die Dosierung der Opiate zur Schmerzlinderung zu reduzieren – und damit auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Verstopfungen zu minimieren. Spätestens seit der Entdeckung der endogenen Cannabinoide wissen wir, wie hilfreich Cannabis in der Schmerztherapie sein kann. 

Was sind denn endogene Cannabinoide? 

Die endogenen Cannabinoide gelten neben dem Opioidsystem als zweites relevantes körpereigenes Antichronifizierungssystem - das heißt nicht nur den Schmerz zu behandeln, sondern auch das langfristige Schmerzvergessen anzusteuern. Das eröffnet in der Schmerztherapie völlig neue Aspekte, da das Endocannabinoid-System eng mit dem Angstzentrum verbunden ist und eine wesentliche Rolle bei der Löschung des Schmerzgedächtnisses spielt. 

Wie haben sie selbst vom medizinischen Nutzen der Hanfpflanze erfahren? 

Eine Freundin von mir hatte ein Plasmozytom und  Knochenmetastasen und bekam daher eine Stammzellentransplantation. Als ich sie damals in der Klinik besuchte, erfuhr ich, dass sie einen komplett therapieresistenten Schmerz hatte und es ihr extrem schlecht ging. Da ich kurz zuvor von einem Kollegen erfahren hatte, dass es da wohl „etwas Neues“ gebe, was bei Schmerz und Übelkeit helfen könne, kontaktierte ich kurz darauf meinen Kollegen, um zu erfahren, aus welcher Richtung das neue Mittel käme. So wurde ich auf Dronabinol aufmerksam gemacht und tatsächlich: meine depressive und appetitlose Freundin, die keine Opiate vertrug, reagierte positiv auf Dronabinol. Dadurch konnten schließlich die Opiatpräparate deutlich reduziert werden, was auch die negativen Nebenwirkungen auf ein erträgliches Maß reduzieren half – es gelang endlich, ihre Schmerzen ausreichend zu lindern, was ihre Lebensqualität immens verbesserte. Nach dieser ersten Erfahrung habe ich angefangen, mich intensiver mit Dronabinol zu beschäftigen – und ich musste feststellen, dass Dronabinol immer noch nicht als hilfreiches Medikament anerkannt ist, obwohl der Bundestag schon 2008 die Kassen aufgefordert hat, die Kostenübernahme für Dronabinol bei gegebener Indikation zu vereinfachen. Gerade in der Palliativmedizin sollte es meiner Ansicht nach prinzipiell erstattet werden - aber die Kassen zögern die Entscheidung raus und die Ärzte scheuen die Verordnung, wenn damit ein hoher bürokratischer Aufwand verbunden ist. Da fehlt es auch an politischem Umsetzungswillen und die Firma besitzt weder Lobbyisten in Berlin noch einen flächendeckenden  Außendienst, der alle Arztpraxen besucht, um das auf allen Ebenen voranzutreiben.  Dadurch kommt es dann auch, dass ich viele Patienten aus nah und fern habe – erst kürzlich hatte ich einen Patienten aus Bayern, der dort einfach keinen Arzt finden konnte, der ihm ein Dronabinol-Rezept ausstellen wollte. Dabei gibt es inzwischen schon sehr viele positive Erfahrungen mit dem Präparat – vor allem im Bereich Appetitanregung und der Supporthievtherapie bei Krebspatienten. Dronabinol kann aber auch bei Multipler Sklerose erfolgreich eingesetzt werden und daher finde ich es sehr schade, dass immer noch viel zu wenig Ärzte davon wissen. 

Woran liegt das? Gibt es nicht genug Studien zu den Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis in der Medizin? 

Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist die Datenlage zu Cannabis tatsächlich immer noch sehr begrenzt, da wissenschaftlich akzeptable Studien sehr strengen Kriterien unterliegen. Die meisten vorhandenen Studien zu Cannabis können dem leider nicht standhalten – in Deutschland werden auch nur sehr wenige Gelder für wissenschaftliche Studien über Cannabinoide zur Verfügung gestellt. Die meisten Studien werden bei uns ja von der Pharmaindustrie finanziert. Und da es auf pflanzliche Wirkstoffe kein Patent gibt, wird die Forschung auf derartigen Gebieten kaum vorangetrieben. 

Liegt es ihrer Meinung nach an fehlenden Finanzmitteln oder an mangelndem Interesse, dass das medizinische Potential der Hanfpflanze nicht weiter erforscht wird? 

An beidem. Große Unternehmen haben wenig Interesse an Forschungen mit nicht patentierbaren Substanzen und den kleinen, innovativen Unternehmen fehlen einfach die nötigen Geldmittel für die zum Teil sehr aufwendige und teure Forschung. Dazu kommt, dass es in der Diskussion pro und kontra Cannabis in der Medizin immer noch an Trennschärfe fehlt und hier oft noch die medizinische Anwendung mit der Legalisierung der Freizeitdroge und dem Selbstanbau vermischt wird. Und manche denken immer noch, dass Cannabinoide viel potenter und gefährlicher als Morphium sind - das ist natürlich nicht so. Aber ich habe zum Beispiel mal Vorträge über das Postpoliosyndrom gehalten – in Deutschland gibt es immerhin 120.000 Erkrankte, die unter diesem Syndrom leiden. In den 60er Jahren gab es in Deutschland ja noch einmal eine Polio-Welle und das Postpoliosyndrom ist eine Erkrankung, die Jahrzehnte nach der eigentlichen Polio-Erkrankung auftritt – auch wenn die Polio-Erkrankung damals sehr asymptomatisch verlaufen ist. Damals erklärte mir die Chefin einer Selbsthilfegruppe: „Wissen sie, wir haben unheimlich viele Ärzte, die ihren Patienten gerne eine Morphium-Pumpe legen, aber die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie Cannabis hören.“ Es scheint fast so, als wäre Cannabis das letzte große Tabu für den Großteil der deutschen Ärzteschaft.  

Abschließend noch eine Frage in eigener Sache: Wie gefährlich ist – aus ihrer medizinischen Sicht – die Freizeitdroge Cannabis? 

Wenn man sich den Vergleich der Weltgesundheitsorganisation in bezug auf die Schädlichkeit der verschiedenen Drogen und die mögliche psychische und physische Abhängigkeit anschaut, dann rangieren da Opiate an erster Stelle. Danach kommen Alkohol, Kokain, Benzodiazepine und Tabak - erst danach kommt Cannabis. Im direkten Vergleich ist die psychische und physische Abhängigkeit und die Gesamttoxizität am geringsten. Trotzdem ist kiffen natürlich nicht ungefährlich – gerade bei Jugendlichen kann die neuroplastische Entwicklung des Gehirns darunter leiden. Man sollte gesundheitliche Risiken daher nie unterschätzen – und kiffen ist nun mal ein gesundheitliches Risiko. Das ist ganz unbestritten und sollte auch jedem Freizeitkonsumenten bewusst sein.

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